Alte Sitte Eidring

Disenblót

Berkana Jera Algiz

Inhalt

 

 

Allgemein

Als Disen (ahd. Idisen, an. Dísir) wird ein Kollektivum verschiedener weiblicher Wesenheiten bezeichnet, die als heilig angesehen werden. Einige von ihnen sind Göttinnen, andere Ahninnen oder Naturwesen. Dies erklärt, warum sie manchmal strukturelle Ähnlichkeit mit Fylgjen haben, die jedoch eindeutig den Ahnengeistern zugeordnet werden, die der Sippengeneration folgen.

Die zugeordneten Runen verweisen auf den schützend-heilvollen und allen voran weiblichen Bezug des Festes, den sehr schön die Berkana-Rune symbolisiert: Schutz, Heilung, auch Schutzrune der Frau. Jera ist der Jahreslauf, das gute Jahr, die reiche Ernte. Elhaz oder Algiz steht für den schützenden und lebensspendenden Aspekt im umfassenden Sinne.

Disen sorgen sich  um häuslichen Wohlstand und den Segen der Familie im Sinne von Glück, Gedeihen, Bewahrung und Schutz durch heilvolle Zuwendung. Bei der Geburt eilen sie zur Hilfe für eine glückliche Entbindung:

Verstehe dich auf auf Rettungsrunen,
wenn du retten willst und lösen
das Kind aus dem Mutterleib;
ritz dir die Runen auf die Hand,
und streife sie dir über die Glieder;
erbitte dir der Disen Hilfe.

Sigrdrífumál 9, Häny

Im Bereich der Naturwesen zeigen sich Disen im Pflanzenwachstum und Gedeihen der Garten- und Feldfrüchte. So bedingen ihre unterschiedlichen Eigenschaften und Wirkebenen auch die Art ihrer Verehrung, die zwischen familiärem Umfeld und landesweitem Opferfest differiert. Es lassen sich drei Ebenen unterscheiden – zum einen das Umfeld des Disenopfers in privat (nichtöffentlich), regional (öffentlich) und überregional (landesweit öffentlich) . Zum anderen lassen sich die Eigenschaften der Disen einordnen:

Daher genießen sie  kultische Verehrung in Form des Dísablóts. Zeugnisse ihrer Verehrung finden sich in ganz Skandinavien. Disen werden auch als weiblicher Ausdruck der Seele angesehen (Schütte, S.38) (bzw. waren als Bezeichnung jenen Frauen vorbehalten, denen man übernatürliche Fähigkeiten zusprach), weshalb es so zahlreiche nordische Namen wie Ullar-dis, Frey-dis, Thor-dis, Odin-dis, Hjor-dis, Hall-dis, Ás-dis, Vig-dis, Loga-dis, Vana-dis und Öndur-dis gibt, die vielleicht auf Priesterinnen zurückgehen, Inhaberinnen göttlicher Einsicht.  Auf einen seherischen Aspekt deutet der Begriff Spádísir hin.

Das Disenblót im Frühjahr – Disthing in Uppsala

Das Dísaþing - Disthing

Alt-Uppsala (Gamla Uppsala) war das Zentrum der schwedischen Teilstämme (Folklande), die jeweils auch ein regionales Thing besaßen. Hier befand sich das zentrale Heiligtum, in dem nach Adam von Bremen die Götter Odin, Freyr und Thor verehrt wurden. Auch das als Disthing (Dísa-þing, Thing zum Zeitpunkt des Disenopfers) bezeichnete Thing und Markttreiben fand in Uppsala statt und war von überregionaler Bedeutung. Aus diesem Wissen lassen sich einige Erkenntnisse ableiten. Zum Uppsala-Opferfest schreibt Adam von Bremen, daß es um die Frühlingsnachtgleiche stattfand:

Neun Tage werden Schmäuse und dergleichen Opfer gefeiert. An jedem Tage opfern sie einen Menschen nebst anderen Geschöpfen, so daß es in neun Tagen 72 Geschöpfe werden, die man opfert. Dies Opfer findet statt um die Frühlingsnachtgleiche.

Hamburgische Kirchengeschichte, Viertes Buch, Schol. 137 (wikisource)

In der Saga von König Olaf dem Heiligen (Óláfs saga helga) der Heimskringla (um 1230) beschreibt Snorri Storlusson ebenfalls das Uppsala-Opferfest. Die Anschauungen gehen auf seine Schwedenreise zurück:

77. Landeseinteilung und Gesetze in Schweden
In Schweden war es ein alter Brauch, so lange das Land heidnisch war, daß das Hauptopferfest im Monat Gói (Mitte Februar bis Mitte März) zu Uppsala stattfinden sollte. Da sollte ein Opfer gebracht werden für Frieden und für den Sieg ihres Königs. Dorthin sollte das Volk aus dem ganzen Schwedenreiche kommen, und dort sollte zu gleicher Zeit das Thing aller Schweden abgehalten werden. Auch war dort ein Markt und eine Messe, die eine Woche lang dauerte. Als aber Schweden christlich wurde, hielt man das Gerichtsthing und den Markt nichtsdestoweniger dort ab. Aber jetzt, wo ganz Schweden christlich geworden war und die Könige aufgehört hatten in Uppsala zu wohnen, wurde der Markt verlegt und zu Lichtmeß (2.Februar) abgehalten, und das ist seitdem ständig geblieben, und jetzt dauert er nur noch drei Tage. Da wird das Schwedenthing abgehalten, und dorthin kommt man von allen Teilen des Landes.

Sammlung Thule - Altnordische Dichtung und Prosa, Verlag Eugen Diederichs, Bd. 15 Snorris Königsbuch (Heimskringla )II (S. 114), Übersetzung nach Felix Niedner, Jena 1922

Vorstellbar ist auch, daß zu jedem regionalen Thing jeweils noch mal ein eigenes Disenopfer dargebracht wurde. Mit Gewißheit kann man das natürlich nicht sagen, aber die Ortsnamenforschung stützt diese Annahme. Denn daß es Disenopfer auch an anderen Orten außer Uppsala gab, beweist der Ortsname Disaþing im schwedischen Uppland (Simek).

König Aðils‘ Tod beim Disenopfer

Disen können aber auch einen indirekt destruktiven Aspekt besitzen, wie im eddischen Heldenlied Reginsmál Strophe 24 beschrieben:

Þat er fár mikit, ef þú fœti drepr, þars þú at vígi veðr: tálar dísir standa þér á tvœr hliðar oc vilia þic sáran siá.

Gefahr droht, wenn dein Fuß strauchelt, da du zum Kampfe kommst: Böse Disen stehn zu beiden Seiten und wollen dich versehrt sehen.

Grimnismâl Strophe 53 ebenso:

Eggmóðan val nú mun Yggr hafa, þitt veit ek líf of liðit; úfar ro dísir, nú knáttu Óðin sjá, nálgasktu mik, ef þú megir.

Einen Schwert-Erschlagenen werde ich haben Yggr zu eigen, dein Leben, weiß ich, verläßt dich, feindlich sind dir die Disen, nun kannst du Odin sehen, komm heran wenn du kannst.

Daran anknüpfend verdient ein Detail im Kapitel 29 der Saga von den Ynglingen (Ynglinga saga) besondere Aufmerksamkeit. Das Straucheln des Pferdes hat für den Ynglingenkönig Aðils tödliche Folgen, während er sich beim Disenopfer in Uppsala befindet:

Nun war König Aðils einmal beim Disenopfer, und er ritt auf seinem Roß um den Disensaal. Das Roß strauchelte unter ihm und fiel zu Boden, und der König sank nach vorn herunter. Sein Haupt stieß dabei an einen Stein, daß ihm der Schädel brach und das Hirn auf den Steinen lag. Dies war sein Tod. Er starb in Uppsala und wurde dort im Hügel beigesetzt. Die Schweden nennen ihn einen mächtigen König.

Sammlung Thule - Altnordische Dichtung und Prosa, Verlag Eugen Diederichs, Bd. 14 Snorris Königsbuch (Heimskringla) I (S. 58), Übersetzung nach Felix Niedner, Jena 1922

Das Disenblót zwischen Herbst und Winternächten

Etwas schwierig wird es, wenn in den altnordischen Sagas von Herbst oder Winternächten geschrieben wird. Meistens läßt sich der genaue Zeitrahmen nur sehr schwer (oder gar nicht) abgrenzen, weil beide Jahreszeiten häufig synonym verwendet werden. Das Problem hatte ich schon beim Herbstfest. Mit etwas Glück ist aus dem Kontext zu interpretieren, ob sich die Handlung eher an der Herbsttagundnachtgleiche oder mehr in Richtung der Winternächte im Oktober bewegt.
Auch hier ergeben sich ähnliche Fragen. So wird beispielsweise in der Hervararsaga (Saga von Hervör und König Heidrek, Hervarar saga ok Heiðreks konungs) erzählt, daß Starkaðr Áludrengr eine Königstochter raubte, die gerade damit beschäftigt war, beim Disáblót den Hörgr zu röten. Teilweise wurde daraus gefolgert, daß bei diesem Opfer besonders Frauen die priesterliche Funktion ausübten.

Eitt haust var stor disablol mikit hjå Alfi konungi, ok gekk Ålfhildr at blotinu (…)

In einem Herbst war ein großes Disenopfer bei König Alf, und Alfhild half beim Opfer… Aber in der Nacht, als sie den Horgr rötete, entführte Starkad Aludreng Alfhild.

Hervararsaga, Kapitel 1

Etwas später wird dann noch erwähnt (Kapitel 7 oder 26, je nach Version, da es von der Hervararsaga mehrere Versionen gibt), daß sich die Königin nach einem vernichtenden Angriff auf das Heer von König Harold im Tempel der Dis (dísar sal) das Leben nahm.

Aus der Víga-Glúms Saga erfahren wir in Kapitel 6, daß ein Disenopfer at vetrnóttum stattfand, also etwa Mitte Oktober zu den Winternächten:

Zum Winteranfang wurde dort ein Fest vorbereitet und ein Disenopfer veranstaltet, und alle sollten an dieser Feier teilnehmen.

Isländersagas 4

Auch der Saga von Egill Skalla-Grímsson läßt sich den Kapiteln 43 und 44  ähnliches entnehmen, wenn auch der genaue Zeitpunkt etwas unklar bleibt. Aus dem Kontext kann man aber vermuten, daß es sich in Richtung Herbst/Winternächte bewegt:

Da geschah es, daß Ölvir wegfahren mußte, um für Þórir Grundabgaben einzutreiben, die im Frühjahr nicht bezahlt worden waren […]

König Eirík und Gunnhild kamen an demselben Abend nach Atley, und Bárð hatte ein Festmahl für den König vorbereitet, und es sollte hier ein Disenopfer sein, und es gab da das beste Gastmahl und viel zu trinken in der Halle.

Isländersagas 1

Disarsalr

Mehrere Quellen kennen eine Opferstätte, die disarsalr genannt wird, also ein Disensaal, Disentempel oder Opferheiligtum, an dem das Disenopfer stattfindet. Erwähnungen lassen sich in der Hervararsaga, Ynglingasaga (Heimskringla I), Historia Norwegiæ sowie der Friðþjófssaga finden. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Sakralbau, vielleicht in Form eines Hörgr oder eines größeren Tempelgebäudes. Für einen Hörgr könnten verschiedene Ortsnamen sprechen, für einen geschlossenen Raum hingegen die Verwendung des Wortes 'salr'.

Idisen im 1. Merseburger Zauberspruch

Simek übersetzt Idisen im 1. Merseburger Zauberspruch mit "ehrbaren Frauen" und sieht sie als schutzgebende weibliche Ahnen. Er sieht in diesem Sinne auch die Matronen als zu den Disen gehörend.

Eiris sazun idisi, sazun hera duoder.
suma hapt heptidun, suma heri lezidun,
suma clubodun umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandun, inuar uigandun!

Einst ließen sich die Idisen nieder, setzten sich hierhin und setzten sich dorthin.
Einige fesselten (die Feinde), andere hielten (das feindliche) Heer auf,
wiederum andere lösten die Fesseln (des Freundes):
löse dich aus den Fesseln, entflieh den Feinden!

Erster Merseburger Zauberspruch (vor 750 u.Z.)

Ortsnamen

Bezüglich der Ortsnamenforschung werden in der Literatur zahlreiche Hinweise aufgeführt, die auf das hohe Alter und die große Verbreitung der Disen-Verehrung hindeuten. Allein wegen des Umfangs möchte ich das Thema jedoch an dieser Stelle nicht vertiefen, da es sich um ein eigenes Gebiet handelt. Interessant sind aber einige norwegische Ortsnamen, die sich mit Hörgr zusammensetzen, wie beispielsweise Disahøyrg (Simek). Das weckt wiederum Assoziationen  zum Disarsalr, einer speziellen Opferstätte der Disen.

Persönliche Randbemerkung

Häufig werden die zahlreichen (allesamt sehr verstreuten) Hinweise als zu uneinheitlich dargestellt, um ein klares und in sich geschlossenes Bild abzuleiten. Sollte man es nicht eigentlich andersherum sehen und sich glücklich schätzen, so eine breite Überlieferung zu besitzen? Natürlich bedürfen die Puzzleteile einer Sortierung mit dem Ziel, vielleicht irgendwann ein Kontinuum daraus hervorzubringen. Aber das wird nicht gelingen, wenn man nur auf die Lücken starrt. Es ist besser, einen Schritt zurückzutreten um das Gesamtbild zu betrachten, das sich trotz aller Lücken bietet. Es ist der Schritt aus der bloßen Theorie heraus... es wird die Essenz aus dem Vorhandenen gebraucht, die sich an der praktischen Wirklichkeit messen läßt. Und der Alten Sitte einen Quell bietet, aus dem sich Verständnis und zugleich Inspiration schöpfen läßt. Unablässig - in Form handelnd-erlebter  Erfahrung und daraus gewonnener Erkenntnis. Man darf sich seine Überzeugung und naturgegebene Anbindung an die Göttinnen, Götter und Wesen der Alten Sitte durch keinen Theoretiker der Welt zerreden lassen.

Festzeitpunkt

Generell geht aus den genannten Quellen zunächst hervor, daß die Disenopferfeste an den Übergängen im Frühjahr und Spätherbst stattfanden. Wenn man jetzt das hohe Alter dieser Opferfeiern betrachtet und davon ausgehen darf, daß sie weder an den Sonnenwenden noch genau an den Tagundnachtgleichen gefeiert wurden (sich also nicht am Sonnenlauf orientierten), läßt sich annehmen, daß sie in eine Zeit zurückreichen, wo noch in Mondjahren und nicht mit Sonnenjahren gerechnet wurde. Solche Feste, zu denen auch die Winternächte zählen, wurden nicht an einem bestimmten Tag, sondern mit dem Eintreten des Vollmondes gefeiert.

Das schwedische Dísaþing und Dísablót wird gelegentlich mit Lichtmeß (am 2. Februar) in Verbindung gebracht. Snorri schreibt, daß Markt und Thing erst in christlicher Zeit auf diesen Zeitpunkt vorverlegt wurden (siehe oben). Das Hauptopferfest, das sonst mit Markt und Thing verbunden war, fand zu dieser Zeit schon nicht mehr statt. Von daher ist von einer Verbindung mit Lichtmeß abzusehen. Nach dem Julfest ist von einem allgemeinen Landesopfer zwischen Mitte Februar bis Mitte März auszugehen, unmittelbar gefolgt von einem Frühlingsfest Mitte März (de Vries).

Beim Dísablót im Spätherbst tendiere ich dazu, trotz der eingangs erwähnten Unschärfe in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Herbst und Winternächten, das Disenopfer in den Winternächten zu sehen.

Aus diesen Überlegungen lege ich das Disenblót im Frühjahr auf den Februar-Vollmond und das zweite im Spätherbst auf den Oktober-Vollmond, in Verbindung mit den Winternächten.

Opfergaben

Als Opfergaben lassen sich kleine Tonschälchen verwenden, gefüllt zum Beispiel mit Honig, Butter, Getreide, Nüssen, Räucherwerk oder ähnlichem.

Blogreferenzen

Alle Blogbeiträge zum Thema Disenblót anzeigen.

Quellen und Verweise

 

Nach dem späteren Volksglauben empfängt Frau Holle die Seelen der Verstorbenen, aber sie läßt aus ihrem geheimnisvollen Brunnen auch die Seelen der Neugeborenen hervorgehen. Damit reiht sie sich wieder dem großen Kreis der mütterlichen Gottheiten ein, die über Geburt und Tod wachen und als Wachstumsmächte verehrt wurden, wie die niederrheinischen Matronen oder die altnordischen dísir.
De Vries (§ 171, S. 241)

 

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Seiteninfo: 1.Autor: ING | 2.Autor: - | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!