Alte Sitte Eidring

Niedere Mythologie

Einleitung | Zwerge | Riesen | Landwichte | Alben | Disen | Walküren | Nornen | Matronen (s. Seite zu Pesch, Nettersheim u. Zingsheim)

Die Niedere Mythologie umfaßt die anderen, nicht-göttlichen Wesenheiten der Mythen, die allerdings nicht wie Gottheiten der höheren Mythologie verehrt werden, was nicht heißt, daß ihnen beispielsweise nicht geopfert würde.
Allerdings haben diese Wesenheiten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Menschen (literarisch gesehen auch für die Gottheiten). Denn Riesen oder Zwerge gelten als einer älteren Schicht entstammend - älter als Götter und Menschen. In Island beispielsweise gibt es eine starken Elfenglauben, der sogar dazu führt, daß geplante Straßen dann in ihrer Wegführung verändert werden müssen, wenn man glaubt, daß ein bestimmtes Gebiet von Elfen bewohnt wird (oder Elfen in einem Felsbrocken wohnen, der dann nicht versetzt wird).
Ich behandle auf dieser Seite auch andere halbgöttliche Wesen wie die Disen und Walküren.

Der Glaube an diese Wesenheiten kann gerade was die Landwichte (s.u.) angeht auch animistische Züge haben. Beim Animismus wird jeder Aspekt der Natur als 'beseelt' gesehen und die Wichte, die "ihr" Stück Land bewohnen (und auch gegen Eindringlinge verteidigen) gehen in diese Richtung.

Gerade bei diesen Wesenheiten sieht man, wie schwierig die Rekonstruktion einer Religion ist. Wie hängen z.B. Nornen, fylgja, Disen und Matronen zusammen? Welche regionalen Unterschiede gab es, d.h. welche dieser Vorstellungen gab es z.B. im südgermanischen Raum?

Zwerge (dvergr)

Zwerge (altnordisch dvergr, altenglisch dweorg, althochdeutsch zwerc oder gitwerc) gehören zu einer Gruppe von Wesenheiten, die untereinander nur schwer abgrenzbar sind: Licht- und Dunkelelfen, Schwarzalben, Zwerge, Landwichte, das Stille Volk, Huldrefolk usw. Die Etymologie ist noch ungeklärt; man hat über norwegisch dvergskot (Tierseuche) und altindisch drva- (Gebrechen) eine indogermanische Wurzel *dhuer- (schädigen) rekonstruieren wollen (auch nach altindisch dhvaras - dämonisches Wesen). Vom deutschen Traum / Trug hat man auch an indogermanisch *dhreugh- gedacht, was den Zwerg als Trugbild erscheinen ließe.
Als die ersten Götter, Odin und seine Brüder Vili und Ve, den Urriesen Ymir töteten, machten sie aus seinem Körper die Welten, wie sie in der Mythologie vorkommen. Aus Ymirs Körper wurde die Erde gemacht, darin hausten die Zwerge, die wiederum aus den Riesen Brimir und Bláinn erschaffen wurden, was eine unklare Stelle in der Völuspa (einem Lied der Liederedda) ist. In der Prosaedda (von Snorri Sturluson) werden die Zwerge so dargestellt, daß sie wie Maden im Fleisch Ymirs (also in der Erde) gewachsen sind, und daß sie ihre Gestalt von den Göttern bekamen. Sie sind auf jeden Fall älter als die Menschen.
4 Zwerge haben eine besonders "tragende" Funktion: Aus Ymirs Schädel wurde der Himmel gemacht und die Zwerge Nordri, Austri, Sudri und Vestri tragen diesen Himmel in je einer Himmelsrichtung.
Modsognir wird in der Liederedda als Mächtigster der Zwerge genannt, ihm folgt Durin. Dann werden etliche Zwergennamen aufgezählt; eine gute Übersicht gibt auch Simek.

Einige der in der Erde hausenden Zwerge heißen: Neu, Nid, Norder, Süder, Oster, Wester (die oben schon erwähnten), Aldieb, Dwalin, Nar, Na-in, Niping, Da-in, Biwur, Bawur, Bömbur, Nori, Ori (Uri = Schmied), Onar, O-in, Metwitnir, Wigg, Gandalf (!), Windalf, Thorin, Fili (Feile), Kili, Fundin, Wali, Thror, Throin, Thekk, Lit, Wit, Neurat, Recke, Ratstark.
In den Felsen wohnen diese: Draupnir, Dolgthwari, Har, Hugstari, Hledjolf, Glo-in, Dori, Ori, Duf, Andwari (s. Nibelungenlied), Heptifili (Hepti = Griff), Hanar, Swiar.
Dann werden diese noch erwähnt, die vom Swarinshügel nach Feuchtwangen kamen: Skirwir, Wirwir, Skafid, A-i, Alf, Yngwi, Eikinskjaldi (Eichenschild), Fal, Frosti, Finn, Ginnar. Von ihnen soll Lofar abstammen.


Eine Kategorisierung der Zwerge ist schwer: Snorri sieht in ihnen eine Untergruppe der Alben und setzt sie den Schwarzalben (svartálfar) gleich. In den Havamal der Liederedda lautet eine Kategorisierung "Asen, Alben, Zwerge" ("Odin den Riesen, den Alfen Dain, Dwalin den Zwergen"), was vermutlich stimmiger ist. Das ist auch in der modernen Fantasy übernommen worden, wo die Dunkelelfen eine Art böser Elfen sind, während die Zwerge eine davon unabhängige Rasse darstellen. Man muß mit einer Vermischung der Vorstellungen rechnen. Die Vorstellung von Zwergen ist schon in recht alten skaldischen Schriften belegt, aber die o.g. Namen dürften alle jüngeren Datums sein. Interessant ist im übrigen, daß nur einer von ungefähr 200 bekannten Zwergennamen weiblich ist.
In den Liedern der Edda erscheinen die Zwerge v.a. als kunstfertige Handwerker: Im Prinzip werden alle wichtigen Schmuckstücke (und andere Dinge) der Götter von Zwergen hergestellt, so stellen Sindri und Brokk Thors Hammer Mjöllnir her, Odins Ring Draupnir und Freyrs Goldeber Gullinbursti. Iwaldis Söhne fertigen das Goldhaar für Thors Frau Sif, Odins Speer Gungnir sowie das Vanenschiff Skidbladnir, das auch über Land segeln kann. Dain und Nabbi schmieden der Göttin Freyas Kampfeber Hildisvin. 4 andere Zwerge erschaffen für Freya das Halsband Brisingamen - diese entschädigt die Zwerge mit "Liebesdiensten". Fjalar und Galar brauten den Dichtermet, was ebenfalls eine nicht unblutige Geschichte ist: Sie erschlugen den weisen Kwasir, mischten sein Blut mit Honig, woraus Met entstand. In der poetischen Umschreibung (Kenning) heißt er dementsprechend "Zwergentrank" oder auch "Kwasirs Blut". In den ältesten nordischen Quellen werden Zwerge fast ausschließlich mit dem Dichtermet verbunden. Auch die Fesseln für den Fenriswolf sind Zwergenarbeit. All das kann man in den Eddas nachlesen.
Bekannt ist das Lied Alwismal, ein Wettstreit zwischen dem klugen Zwerg Alwis und dem eher nicht für seine Weisheit bekannten Donnergott Thor. Thor gewinnt aber durch eine List - und der erste Sonnenstrahl versteinert den unachtsamen Zwerg, der somit auch nicht Thors Schwiegersohn werden kann, was er ursprünglich begehrte. Auch andere Zwergennamen deuten darauf hin, daß man die Zwerge als weise ansah. Åke Ström übersetzt veggbergs vísir (Völuspa 48) mit "die Weisen der Felswände". (Im übrigen werden Zwerge auch in den Havamal (148, 160) im Zusammenhang mit der Runenkunde erwähnt.) Genauso läßt sich aus manchen Namen herauslesen, daß die Zwerge als gute Kämpfer galten: þráinn - der Bedrohliche, þrasir - der Wütende, dolgr - Feind.
Zwerge kann man sich grundsätzlich als eine Art Naturgeister vorstellen. Man kann hier ein Relikt pantheistischer Vorstellungen sehen, die in der späteren Religion der Asen und Vanen keinen prominenten Platz mehr hatte. Mit dem Bezug zur Erde sind die Zwerge auch als eine Art Totendämonen gesehen worden; es gibt eine Theorie eines Wissenschaftlers, dessen Name mir nicht mehr einfällt, nach der die Zwerge sozusagen Erinnerungen an eine himmelskundlich-begabte megalithische Bevölkerung sind. Eine andere Theorie (erwähnt in Holzapfel) vermutet als Vorbild für die mythologischen Zwerge kleinwüchsige, keltischstämmige Wanderarbeiter aus vorrömischer Zeit, die in abgelegenen Siedlungen Erzabbau und Verhüttung betrieben. Wobei Simek darauf hinweist, daß es für die Kleinwüchsigkeit der Zwerge nur vereinzelte Hinweise gebe, so eine althochdeutsche Glosse, die "gitwerc" mit Pygmae übersetzt. Generell scheint man sich erst ab dem Hochmittelalter Zwerge als kleinwüchsig vorgestellt zu haben. Der oben schon angeführte Begriff "Feuchtwangen" kann auch als Beleg für die Nähe der Zwerge zum zweiten germanischen Göttergeschlecht, den Vanen, genommen werden. Diese Gottheiten haben (nicht ausschließlich) mit Fruchtbarkeit, Wachstum, Fülle, Erde und Wasser zu tun. Daß Zwerge in der Erde oder in Felsen wohnen, scheint auch der altnordische Ausdruck "Zwergenspruch" (dvergmali) für Echo zu belegen. Die Kleinwüchsigkeit wird allerdings erst recht spät in den isländischen Sagas erwähnt.

Riesen (jötunn (*etanaz, Fresser), thurs, troll)

Das Wort Jötunn bezeichnet wertfrei die Riesen, wohingegen die Bezeichnung thurs schon einen bedrohlicheren Beiklang hat (s. Thurisaz-Rune). Troll ist eine späte, ausschließlich negativ gemeinte Bezeichnung.
Nach der Dreiereinteilung der Welten leben die Riesen in Utgard, der für Menschen und auch Götter eher lebensfeindlichen Wildnis. Im Gegensatz zu den Gottheiten, die eher die erschaffenden Kräfte personifizieren, werden die Riesen psychologisch als destruktive, lebensfeindliche Anteile der Natur gedeutet, die aber für eine Balance sehr wichtig sind. Deshalb kann man sie auf keinen Fall als "böse" bezeichnen. Riesen sind älter als Götter und Menschen und stammen vom zwittrigen "Urriesen" Ymir ab, dem ersten Wesen, das die germanische Mythologie kennt. Zwischen Göttern und Riesen gibt es ständig freundliche und feindliche Verbindungen. Thor ist häufig auf Riesenjagd, er ist der Beschützer der Götter vor diesen riesischen Kräften. Andererseits gibt es aber auch einige Berichte über Ehen zwischen Göttern und Riesen (Freyr / Gerðr, Njörd / Skadi ...).

Sonnenuntergang über dem Möckeln, Schweden

Landwichte (landvættir)

Landwichte (Wicht von 'wegan', sich bewegen) sind literarisch nur in Island belegt. Man kann sich in ihnen die Naturgeister vorstellen, die bestimmte Gebiete bewohnen, und mit denen sich die frühen isländischen Siedler auseinanderzusetzen hatten. Da sie auch Schutzgeistfunktion haben, wird im Landnamabok erwähnt, daß sich der Küste nähernde Drachenschiffe die Drachenköpfe vom Steven abnehmen sollten, damit die Landvættir nicht verärgert oder verschreckt werden.

Alben (alfr) / Elfen

Von Elfen spricht man eher in der angelsächsischen Kultur, wo sich ein eigenständiger Elfenglaube aus den (skandinavischen) Alben herausgebildet hat, der sich bis in die moderne Fantasy-Literatur durchzieht (s. Tolkien, wobei dieser bei der deutschen Übersetzung darauf Wert gelegt hat, daß die "elves" als "Elben" übersetzt werden).
Die Alben sind Wesenheiten / Geister, die in der Nähe der Asen und Zwerge stehen, aber hierarchisch gesehen doch unter ihnen. Snorri setzt die "Schwarzalben" mit den Zwergen gleich. Es gibt offensichtlich Vorstellungen von den Alben als schönen, grazilen Wesen (Lichtalben (ljos-alfar, weshalb man sie auch als Namensbestandteile findet, z.B. Alfhild), aber auch die sogenannten Dunkel- oder Schwarzalben (dökkalfar, svartalfar). Allerdings ist es gut möglich, daß dieser stark betonte Dualismus auf christlichen Vorstellungen von Engeln und Teufeln beruht. Man nimmt heute auch an, daß die Alben durch Erinnerungen an verstorbene Ahnen entstanden sind. Simek erwähnt, daß man in den Licht- bzw. Schwarzalben den Zusammenhang von Fruchtbarkeits- und Totenkult sehen kann. In einem weiteren Werk meint er, daß man nach Quellenlage nicht ausschließen könne, daß die Alben eine Gruppe alter Naturgottheiten darstellen. Den Alben wurde / wird eben auch geopfert (AlfarBlot) und etliche Naturformen (Seen, Wälder) sind in Skandinavien mit dem Namen der Alben verknüpft.

Disir 

Als Disen (ahd. Idisen, an. Dísir) wird ein Kollektivum verschiedener weiblicher Wesenheiten bezeichnet, die als heilig angesehen werden. Einige von ihnen sind Göttinnen, andere Ahninnen oder Naturwesen. Weiter siehe Disenblót

Walküren (valkyrjar)

Die Walküren waren vielleicht zunächst einmal Totendämonen, denen die Gefallenen auf dem Schlachtfeld zufielen: valr ('die Leichen, die auf dem Schlachtfeld liegen') und kjosa ('wählen'). In der späteren Mythologie wurden sie eng mit Odin verknüpft, als dessen 'Gesandte' sie erscheinen, die die Odin zustehende Hälfte der Gefallenen nach Walhalla führen sollen. Deswegen heißen sie auch "Oðins meyar", Odins Mädchen. Spezifische Namen finden sich z.B. im Grimnismal, 36. In der späteren Heldendichtung sind die Walküren allerdings so vermenschlicht, daß sie sich auch in menschliche Helden verlieben können. Im Lied von Helgi Hjörwardssohn gelten sie als Fruchtbarkeitsspenderinnen: "Dreimal neun junge Frauen, ja, doch ritt die eine voran, hellstrahlend im Helme; die Rosse schüttelten sich; von ihren Mähnen fiel herab in tiefe Tale der Tau, und Hagel fiel ins hohe Holz; von dorther kommt der Segen zu euch ..." (nach Häny, der 'Segen' so erläutert, daß damit das gute Jahr, die gute Ernte gemeint sei.)

Nornen (nornar)

Die Nornen sind Schicksalsfrauen, von denen es viele gibt. Am bekanntesten sind jedoch Urd (das Gewordene), Verdandi (das gerade Werdende) und Skuld (das, was in Zukunft werden könnte). In den Anmerkungen zu Genzmers Edda-Übersetzung findet sich der Hinweis, daß Urd und Skuld sehr alte Namen seien, wohingegen man "Verdandi" offenbar nach dem Muster der lateinischen Parzen später hinzugefügt habe. Nornen können von den Asen, Zwergen oder Alben sein. Man glaubte früher wohl, daß eine Norne zu einem neugeborenen Kind kam, um ihm das Schicksal zuzuteilen. Aus der Feststellung, daß menschliches Leben Leid und Freude bedeutet, ist vermutlich die Vorstellung entstanden, daß es "gute" und "böse" Nornen gibt. Die Gleichsetzung von Urd, Verdandi und Skuld mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die für die Runenweissagung wichtig ist, stammt laut Simek vielleicht erst vom Dichter der Völuspa. Interessant ist, daß die Schicksalsfrauen der nordischen Mythologie nicht "spinnen" oder weben. Diese Tätigkeit des "Schicksal-Webens" wird mit Walküren verbunden (Darraðarljoð).

"Nacht ward's im Gehöfte;
die Nornen kamen,
die unserem Helden
das Schicksal schufen -
geboten, er solle
der Fürsten berühmtester
werden, als bester
der Herrscher gelten."
   [1. Lied von Helgi Hundingstöter, Häny]

 

Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!