Welten
Modell 1
Modell 1 beschreibt die Aufteilung in drei Welten, als da wären Asgard, die 'Wohnburg' der Götter, Midgard, die Welt der Menschen, und Utgard, dort wohnen die Riesen.
Odin und seine beiden Brüder Wili und We töten
den Urriesen Ymir ("Zwilling, Zwitter", zu iranisch Yima, altind. Yama) und erschaffen die Welt aus dessen
Körper. Wichtig: die ursprüngliche Erschaffung der Welt(en) geschieht durch
Ymir, später aber begegnet die Erde uns oft als weibliche Form (Jörd).
Die Erde wird als Scheibe gedacht, um die herum das große Weltmeer liegt. Am Strand des Meeres, in dem
die Midgardschlange lebt, wohnen die Sippen der Riesen,
in der Mitte der Erdscheibe aber haben die Götter aus Ymirs Wimpern
den Menschen ihre Welt, Midgard, gebaut. Darüber befindet sich - aus Ymirs Schädel und Gehirn - der Himmel mit den
Wolken. "Im Himmel" befindet sich Asgard, die Burg der Götter, die über die Regenbogenbrücke
Bifröst zu erreichen ist. Nach diesem Modell leben die Zwerge in der Erde, die ja aus Ymirs Fleisch
erstellt wurde, bzw. in den Bergen (Ymirs Knochen). Dieses erste Modell orientiert sich stark an
Snorris Beschreibungen aus der Prosa-Edda.
Die Weltenesche Yggdrasil
paßt sehr schwer hinein, wenn man sich
das Ganze bildlich vorstellen will. Eine Wurzel ragt bekanntlich nach Asgard, eine nach Niflheim
und die dritte zu den Reifriesen in Utgard - das muß ein schiefer Baum sein ... :)
Hinweis: Im Grimnir-Lied der Liederedda wird etwas abweichend gesagt, daß eine Wurzel zur
Hel geht (deswegen wird Hel mit Niflheim assoziiert), die
zweite zu den Riesen und die dritte zu den Menschen.
Meist wird das Modell daher in anderer Form übertragen: Asgard als Krone der Esche, Midgard als deren Stamm und
Utgard / Hel liegt im Wurzelbereich. Ich halte das aber für falsch. Snorri schreibt: "Ihre Zweige
breiten sich über die ganze Welt und überragen den Himmel"
(Häny), weiterhin auch, daß die
Asen täglich an
der Esche ihr Gericht halten - und das tun sie nicht in Midgard, sondern in (oder um) Asgard. Von daher muß
man sich das wohl eher so vorstellen, daß Yggdrasill schon mit den Wurzeln im "Himmel" steht,
wo sich auch Asgard befindet. Midgard ist also weit unten und die Menschen, die zum Himmel aufschauen,
würden bildlich gesprochen zuerst das Wurzelwerk sehen. An einer Wurzel sitzen die Asen beim Gericht,
die andere schwingt sich weitab Midgards bis zu den Riesen hinab, die dritte führt noch weiter nach
Norden bis nach Niflheim.
Unter jeder der drei Wurzeln befindet sich ein Brunnen: Bei Niflheim ist das
Hwergelmir; dort lebt auch
der Drache Niddhögg (mit vielen weiteren Schlangen), der diese Wurzel annagt, um
die Esche zu Fall zu bringen. Unter der Wurzel in
Riesenheim befindet sich der Mimirsbrunnen, "in
welchem Klugheit und Verstand verborgen sind"
(Häny) und
der von Mimir bewacht wird. Unter der Asgardwurzel findet man den Urdbrunnen,
wo die Götter ihr Gericht
abhalten. Da sie mit Pferden über Bifröst dorthin reiten, kann man vermuten, daß der Brunnen nicht
Teil Asgards ist (?). An diesem Urdbrunnen wohnen auch die drei Nornen
Urd, Verdhandi und Skuld. Sie begießen täglich die Yggdrasilwurzel mit dem heiligen Wasser aus dem
Brunnen.
Die Krone der Weltenesche wird von Tieren bewohnt, als da wären ein Adler, ein Habicht, vier Hirsche
und das Eichhörnchen Ratatosk, das am Stamm entlang zwischen Niddhögg und dem Adler boshaftes Gerede
hin- und herträgt.
Der Name Yggdrasil(l) wird als "Renner (= Pferd) des Ygg" interpretiert, wobei Ygg =
Odin ist. Wenn man nun weiß, daß im Norden der Galgen auch als "Pferd des
Gehängten" bezeichnet wurde, dann ist klar, daß der Name bezug nimmt auf das
Selbstopfer Odins, der sich 9 Tage und Nächte an die Weltenesche hing, um
Weisheit (Runenwissen)
zu erlangen. Eliade weist darauf hin, daß das
Besteigen eines Baumes als Symbol für eine schamanische Reise gilt.
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Yggdrasil nun eine Esche oder Eibe ist. Die Vertreter
der Eibentheorie weisen darauf hin, daß die Eibe ein immergrüner, "magischer" Baum sei,
der auch von einer eigenen Rune repräsentiert werde.
Weiterhin ist "barraskr" ein Kenning für die Eibe - "Nadel-Esche".
Die Vertreter der Eschentheorie verweisen einfach auf die Eddas: Laut
Völuspa 19, 48, Grimnismal 35 und 44 (Edda von Simrock)
sowie Gylfaginning 15 (Häny) ist der Weltenbaum eine
Esche, ebenso frißt die Ziege Heidrun Blätter von Yggdrasil; weiterhin wurde der erste Mann, Ask, aus
Eschenholz gemacht. Ich habe auch mal irgendwo die Theorie gelesen,
die Esche sei der Baum der Asen, wohingegen die Eibe der Baum der Vanen sei. Somit würden die Differenzen der Göttergeschlechter
hier noch mal im Gegensatz Nadel- zu Laubbaum aufgegriffen.
Persönlich bin ich lange von einem Laubbaum ausgegangen, neige aber auch immer mehr zur Eibe.
"Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum netzt weißer Nebel;
davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.
Immergrün steht er über Urds Brunnen.
Völuspa, 19 (Simrock)
Modell 2
Modell 2 ist eine weitere, wohl eher spirituellere Aufteilung in insgesamt 9 Welten.
Die Welten verbindet die 'Regenbogenbrücke' Bifröst, an der Heimdall
als Wächter steht. Über diese Brücke können die Götter in die Welt der Menschen kommen.
Die magisch-meditativ begabten Menschen können darüber in die anderen Welten "reisen".
Doch "Hoch" (Gylfaginning 15) warnt uns, daß nicht jeder über Bifröst reisen könne. Das Rote
im Regenbogen sei brennendes Feuer: "Hinauf in den Himmel stürmen würden die Reifriesen und Bergriesen,
wenn Bifröst allen, die wollten, begehbar wäre." (Häny)
Andere Übergänge zwischen den Welten sind denkbar: In Höhlen kann man das Reich
der Zwerge erahnen, in der Felsenwildnis der Gebirge ist man fast schon mitten in Riesenheim,
auf Inseln in großen Seen mag man vielleicht die Wanen suchen.
Hier ist eine Auflistung der Welten und der Wesenheiten, die man mit ihnen verbindet. Unterteilt sind die Welten in 3 "Bewußtseinsebenen", die mit bestimmten psychischen Aspekten verbunden werden. Zugegebenermaßen ein wenig esoterisch, aber bemerkenswert. (Dazu ist evtl. auch die Tabelle zu den Elementezuordnungen hilfreich.)
- Asgardr (Æsir) - Reich der Götter, Inspiration, Geist, höchste Ebene
- Vanaheimr (Vanir) - Gefühle, Emotionen, Wasser, Gleichgewicht
- Muspellsheimr (Feuerwelt im Süden) - Intuition, Lebenskraft, schöpferisches Feuer
- Midgardr (Menschen) - Menschheit, Persönlichkeit, das Selbst
- Myrkalfheimr / Svartalfheimr (Dunkelelfen (Zwerge)) - Empfindung, Verwandlung, Zusammenhalt
- Ljossalfheimr (Lichtelfen) - Gedächtnis, Vegetation
- Jötunheimr (Riesen) - männliche zerstörerische Energien, Chaos
- Hel(heimr) (Unterwelt, Reich der Toten) - Tod, Anima / Animus, weibliche zerstörerische Energien
- Niflheimr (Eiswelt im Norden) - der Schatten, Wurzeln und Herkunft, angesammelte Wyrd
Der Untergang dieser Welten - Ragnarök
Ragnarök, das ist das Endschicksal der Götter, auch als tiva rök (Götterschicksal) bezeichnet. Hauptquelle sind die letzten Strophen der Völuspa (Edda). Es handelt sich dabei um den kompletten Untergang der Welt(en) und des (offenbar zyklisch gedachten?) Neuentstehens einer anderen Welt. Das Ende kündigt sich durch Katastrophen und gesellschaftliche Veränderungen an: ein dreijähriger Fimbulwinter, Ehebruch und Mord innerhalb der Sippen, die Weltenesche fällt, die Erde versinkt im Meer, die Sonne verlöscht. Die Hauptgötter der Germanen sterben in den Ragnarök durch die schon vorher bekämpften Mächte des "Chaos", wie auf der untersten Stammtafel dargestellt. Die Erneuerung der Welt wird durch das "Überleben" der Söhne dieser Götter dargestellt. Auch zwei Menschen, Lif und Lifthrasir, überleben und von ihnen stammen die neuen Menschen ab. Unklar ist, wer "der Mächtige" ist, der in der vorletzten Strophe erwähnt wird. Aufgrund anderer Parallelen ist hier ein starker christlicher Einfluß (der Mächtige = Jesus oder sein Vater) angenommen worden.
Wie können wir moderne Heiden die Ragnarök interpretieren? Da gibt es folgende Sichtweisen:
Es ist nur eine Geschichte, die aber keinen reellen Bezug hat. (OK, da macht man es sich einfach ...)
Es ist eine Metapher für das persönliche Schicksal des Menschen mit Tod und Reinkarnation.
Es ist die Geschichte des Untergangs der heidnischen Welt durch die christliche Missionierung - oder in diesem Sinne jeglicher
einschneidende Übergang in der Geschichte (z.B. durch Kriege, Auslöschung ganzer Völker ...)
Es ist ein tatsächliches, noch in der Zukunft zu erwartendes Ereignis, z.B. der Untergang des Planeten Erde bzw. unseres Sonnensystems.
Es ist ein zyklisches Ereignis, das sich immer wiederholt - somit ist es noch zu erwarten, liegt aber auch schon hinter uns.
Ich glaube, daß die Mythen so vielschichtig sind, daß sie alle Interpretationen gleichzeitig zulassen.
Dazu schrieb Doug Freyburger in der Asatru newsgroup:
"Ragnarok depicts the big-bang-universe undergoing another big-bang rebirth. This could
easily be the birth and death of planet Earth and the solar system, of the entire universe, or of
every human individually."
Auch wurde in Diskussionen bereits auf die offenbar zyklischen Massensterben in der Erdgeschichte
verwiesen, von denen es bisher einige gab, zuletzt vermutlich das Aussterben der Dinosaurier.
Vielleicht stehen wir mit unserem derzeitigen Artensterben auch wieder im Vorfeld einer solchen
Zäsur.
Und man darf eine ganz menschliche Sichtweise nicht vernachlässigen,
wie de Vries schreibt:
"Wer aus der Völuspá Zeugnisse für die eschatologischen Gedanken der Nordgermanen
gewinnen will, muß der Persönlichkeit des Verfassers seine volle Aufmerksamkeit widmen. Denn sie enthält nicht
das heidnische Bild des Weltuntergangs, sondern die Vision eines hochbegabten Dichters über die letzten Dinge."
Eine wichtige Frage in dem Zusammenhang ist natürlich, ob die Götter der germanischen Mythologie denn heute überhaupt noch als existent gedacht werden können, wenn doch ihr Untergang bereits beschrieben wurde. Ich glaube, daß wir noch in der gleichen erdgeschichtlichen Phase wie die Germanen leben, daß also deren Götter auch heute noch unsere Götter sind, die erst im nächsten großen "Knall" untergehen werden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob man sich noch aktiv z.B. an Baldur wenden kann, weil er ja schon in den Quellen als tot beschrieben wird. Allerdings bedeutet dies auch, ein großes Gewicht auf die literarische Überlieferung zu legen, die ja nun keine "reine" heidnische Religionspraxis beschreibt.
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!