Freyr
"Wie ist Freyr zu bezeichnen? So, daß er Njörds Sohn, Freyas Bruder
genannt wird, oder gleichfalls Wanengott, Wanensprößling oder schlechtweg der Wane, Erntegott und
Reichtumspender. Er wird auch Belis Feind, Skidbladnirs und des Ebers Gullinbursti, der auch
Slidrugtanni heißt, Besitzer genannt"
Skáldskarpamál (Simrock)
Dieser Gott hat viele Namen - die bekanntesten sind Freyr (nordische Variante) und
Fro (südgermanische Variante). Beide bedeuten ganz einfach "Herr". Der Name
Freyrs überlebt im deutschen Wort "Freier", Liebhaber. Es ist vermutet worden, daß diese
überlieferten Namen nur Titel sind, um den u.U. mit einem Tabu belegten "echten" Namen des
Gottes nicht aussprechen zu müssen - er wurde dann einfach "Herr" genannt.
Adam von Bremen bezeichnet
die Freyr-Statue im Tempel von Uppsala als "Fricco",
auch die Sage vom König Frodi
wird mit Freyr in Verbindung gebracht. Es gibt hier auch die These, daß Adams Erwähnung von
Odin, Thor und Fricco der Formulierung aus dem sächsischen Taufgelöbnis "Thunaer ende Uuoden ende Saxnote"
entspricht, so daß dann Freyr = Saxnot gesetzt werden müßte (mit der Konnotation, daß Freyr als
Schwertgott erschiene).
Im 2. Merseburger Zauberspruch
taucht "Vol" auf, der
eine Schwester names Volla hat. Hier gehen die Meinungen der Forscher auseinander, es wird aber
angenommen, daß die beiden in Freyr und Freya
ihre Entsprechung haben, vor allem auch weil
ihre Namen auf "Fülle" und Überfluß hinweisen.
In der Olafssaga Tryggvasonar wird Freyr als Blotguð Svía (Opfergott der Svear)
bezeichnet, was
darauf hinweist, daß er hauptsächlich in Schweden verehrt wurde, sozusagen der schwedische
Stammesgott ist, worauf auch viele Ortsnamen hinweisen, die Freyr im Namen haben.
Viele schwedische oder dänische Könige
führten ihre Abstammungslinie auf Freyr zurück.
Freyr gehört zur zweiten germanischen Götterfamilie,
den Vanen, die mit
Fruchtbarkeit, Frieden und Fülle assoziiert werden. Snorri
schreibt in der Snorra-Edda:
"Freyr ist der Trefflichste unter den Asen. Er herrscht über Regen und Sonnenschein und das
Wachstum der Erde und ihn soll man anrufen um Fruchtbarkeit und Frieden."
(Freyr wird hier als Ase bezeichnet, was damit zu tun haben könnte, daß er als vanische
Geisel nach dem Frieden zwischen den beiden Sippen
die meiste Zeit bei den Asen verbrachte (s.u.)).
Freyr ist der Sohn Njörds, des
Gottes der See. Njörd, wie alle Vanen, steht für
Fruchtbarkeit, aber speziell für reichhaltigen Fischfang und sichere Schiffahrt. Wir wissen durch
Tacitus von einer südgermanischen
Göttin Nerthus, die als weibliches Pendant (oder Schwester)
von Njörd gesehen wird (mehr dazu auf der Nerthus-Seite).
Da bei den Asen, der anderen Götterfamilie, Inzest verpönt war, besagen die Mythen, daß
Njörd die Riesin Skadi zur Frau hatte.
Gleiches gilt für Freyr: Er heiratete die Riesin
Gerd, obwohl es vermutlich auch zwischen ihm und seiner Schwester Freya eine Beziehung gab.
Adam von Bremen beschreibt im schon erwähnten Bericht über den Tempel in Uppsala, daß
der Gott Fricco mit einem riesigen Phallus ("cum ingenti priapo") dargestellt war und
daß seine Rituale auch aus obszönen Gesängen bestanden hätten.
Saxo fügt in seiner Beschreibung des Frøblods hinzu, daß
es "weibische Tänze", Händeklatschen, Klingeln mit Glöckchen und manchmal auch
Menschenopfer gab. Man vermutet, daß der Vanirkult ekstatische und orgiastische Elemente oder
auch rituellen Sex beinhaltete.
Die heiligen Tiere Freyrs sind das Pferd und der Eber. In den Mythen finden wir die Beschreibung des Ebers Gullinborsti ("der Goldborstige"), der von den Zwergen Sindri und Brokk angefertigt worden war. Der Gott hielt sich oft in Alfheim (Ljossalfheimr) auf und war der Herrscher über das Reich der Lichtelfen. Er besitzt weiterhin das Schiff Skidbladnir, das so klein zusammengefaltet werden kann, daß es in eine Tasche paßt. Entfaltet kann es aber alle Götter aufnehmen und über Land und See segeln.
Wenden wir uns nun einigen Einzelheiten von Freyrs Leben zu. So, wie er in den Eddas beschrieben wird, müssen wir uns ihn als edlen, jungen Mann vorstellen, als jungen Krieger, der mit allen Waffen gut umzugehen weiß. Sein edler Stand kann an seiner Waffe abgelesen werden: Es ist das - zweifellos magische - Schwert, das sich von selbst schwingt. Im Skirnirlied wird er auch als "Asgards Heerwalt" bezeichnet (nach Genzmer). In dieser Hinsicht erinnert mich Freyr sehr an den jungen Siddharta Gautama, den späteren Buddha. Auch dieser war ein junger, aristokratischer Krieger, bis er sich dazu entschloß, seine Familie aufzugeben und in die Fremde zu ziehen, um ein 'religiöses Leben' zu führen. Aber mit Freyr verhält es sich ein wenig anders: Eines Tages erspäht er von Odins Hochsitz aus die hübsche Riesin Gerd auf dem Anwesen ihres Vaters. Er verliebt sich sofort in sie. An dieser Stelle legt auch er die Waffe ab: er gibt sein Schwert an seinen Diener Skirnir, der für Freyr nach Jötunheim reiten und die Maid für ihn gewinnen soll. Beschrieben wird dies im Eddalied 'Skirnismal'. Gerd willig aber in die Heirat erst ein, als Skirnir ihr mit runischen Flüchen droht und sie quasi zur Heirat zwingt. Man kann also sagen, daß die Weggabe des Schwertes Freyrs persönlicher Preis für die Liebe war, also die Aufgabe einer früheren Existenz.
Über diese Ehe wird uns von den Schriften so gut wie nichts erzählt. Einst hörte ich
in einer TV-Dokumentation über Island, daß Freyr Gerd zwar zur Heirat zwang, daß er
aber niemals ihre Liebe bekam. Der ganze Mythos sei also ein Symbol der Hochzeit zwischen dem
'Sonnengott' und der 'Erdgöttin'. Ohne echte Liebe zwischen beiden sei es auch heute noch so, daß
dadurch Katastrophen wie Stürme, Sturmfluten, Vulkanausbrüche usw. erfolgten.
Man könnte hier auch darüber spekulieren, welche Rolle der Hochsitz Odins spielt, von dem
aus Freyr Gerd sah. Nur Odin durfte nämlich von dort in die Welten schauen. Hat Freyr also ein
"Wissen" angezapft, mit dem er nicht umgehen konnte (nicht glücklich wurde)?
Dann aber, in den Ragnarök, dem Untergang der Göttinnen und Götter von Asgard, ist
Freyr der einzige Vane, von dem berichtet wird, daß er an der Seite der Asen kämpft. Das
ist interessant. Und es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt: Freyr, der ja sein Schwert an
Skirnir gegeben hatte, muß nun mit einem Hirschgeweih bewaffnet kämpfen. Man stelle sich
diese tragische Situation vor: Der strahlende Gott der Fruchtbarkeit steht nur mit einem Hirschgeweih
bewaffnet in der aussichtslosen Schlacht gegen den Feuerriesen Surt. Eine unmögliche Aufgabe, Freyr
unterliegt dem angreifenden Surt.
Dieser Symbolismus ist recht offensichtlich: Der Gott des Sonnenscheins, der Fruchtbarkeit und
Wachstum bringt, kämpft gegen das archetypische Feuer, die verschlingende Hitze von
Muspellheim.
Aber warum ist Freyr der einzige Vane, der die Asen in ihrem Kampf unterstützt? Vielleicht kommt hier seine Jugend als Krieger und Edler wieder durch. Er steht zu seinem Eid, den er gab, als er mit seinem Vater Njörd nach dem Waffenstillstand mit den Asen zu diesen als Geisel kam. Jetzt während Ragnarök ist er loyal und setzt sich für die Erhaltung der Welt ein. Man rufe sich in Erinnerung: Freyr gab sein Schwert für Liebe, doch nun muß er das, was er erhielt (seine hübsche Frau) aufgeben, um mit den anderen Göttern zu kämpfen. Welch eine Entwicklung: Junger Krieger - Liebhaber - Tragischer Krieger.
Ich glaube, daß dies etwas widerspiegelt, das viele Männer in ihrem Leben
kennen: Die Kriegeranteile kämpfen mit den Liebhaberanteilen. Krieg und Frieden, Licht und
Dunkelheit - in einem ewigen Kampf. Welche Seite wird gewinnen? Wer weiß, auch in mir ist
dieser Kampf. Kann der Freyr-Mythos mit einer Erklärung helfen? Vielleicht.
Auf der grundlegenden Ebene bedeutet das, daß man nicht mit nur einem der beiden Aspekte leben
kann. Beide sind untrennbar miteinander verbunden in der menschlichen Natur. Einen Aspekt überbetonen
könnte bedeuten, daß man die Balance im Leben verliert.
Der friedliche Liebhaber wird ohne jegliche Chance auf Gegenwehr sterben, wenn er angegriffen wird,
während der harte Krieger nicht wirklich Liebe und tiefe Zuneigung empfinden / zeigen kann. Das
gilt speziell für die Berserker, von denen man sagt, daß sie in ihrer Kampfeswut auch
ihre eigenen Angehörigen getötet haben.
Und aus diesem Grunde scheinen alle nordischen Göttinnen und Götter, die mit
Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht werden, auch einen Kriegeraspekt zu haben. Man schaue sich
z.B. Thor an, den "Fußsoldaten" mit dem riesigen Hammer - er wurde speziell vom
einfachen Volk als Fruchtbarkeitsgott verehrt. Oder Freya
- auf der einen Seite Göttin der
Liebe, auf der anderen Seite hat sie klare Krieger(Walküren-)aspekte (so erhält sie z.B.
die Hälfte der auf einem Schlachtfeld Gefallenen, Odin erhält die anderen).
Und trotz aller Unterschiede zwischen Freyr und dem Buddha, hier ist eine weitere übereinstimmung:
Eine Balance im Leben zu haben ist vergleichbar dem "Mittleren Weg", der der Buddha lehrt.
Surt, der Feuerriese, ist die logische (und tödliche) Übersteigerung des Gottes des
Sonnenscheins und der Wärme. Das ist die einfache Wahrheit hinter dem Spruch, daß zuviel
des Guten schadet.
Die Lehre aus dem Freyr-Mythos ist also diese Balance in unserem Leben, die es zu erreichen gilt. Das Motto wäre also: Alles zu seiner Zeit. Interessanterweise habe ich dies in früheren Jahren bei Runenarbeiten im Zusammenhang mit Freyr erhalten. Freyr ist derjenige, der seine Hand auf meine Schulter legt und sagt: "Warte auf den richtigen Zeitpunkt! Ich werde an deiner Seite sein." Darin ist er der sich sorgende Berater (Kriegeraspekt) und auch Freund / Kamerad (Liebhaberaspekt).
Freyr ist ein tragischer Gott und das ist seine Lehre, die es zu lernen gilt: Das Leben kann tragisch sein, grausam, ein ewiger Kampf. Aber diejenigen, die kämpfen und lieben können, werden gewinnen. Doch der Gewinn ist nach oben immer durch ein "Zuviel des Guten" beschränkt; das ist der Moment, an dem unsere Existenz vernichtet wird.
"Er (Freyr) gibt alles, was ein Mann braucht, denn er ist
der Gott der Männlichkeit in jeder Beziehung. ... Ein Gott voll Kraft und Leidenschaft,
der sich nicht einengen läßt. Als Erntegott läßt er die Erde blühen, holt aber auch alles
aus ihr heraus, was er kriegen kann. Zum Wohlstand braucht er Frieden, schafft ihn aber
notfalls auch mit der Macht seiner Waffen. Als Gott der Manneskraft gibt er Kinderheil
und Eheglück, lenkt das männliche Interesse aber nicht nur auf die eigene Frau. Wo immer
er als Mann punkten kann, tut er es."
[Asfrid OR, 'Ringhorn 39, VfGH']
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!