Alte Sitte Eidring

Kultprozessionen

Das beste Beispiel für einen rituellen Umgang / Umzug findet sich in Tacitus Germania im Zusammenhang mit der Göttin Hertha (Nerthus). Wir erfahren von einem Wagen, der von Kühen gezogen wird, und die ganze Schilderung hinterläßt bei mir den Eindruck, daß ein Hertha-Idol herumgefahren wird - obwohl das so nicht im Text gesagt wird. Gleiches gilt für eine Umfahrt des Götterbildes von Freyr in Schweden. Weiterhin wird im Indiculus superstitionum et paganiarum das Umhertragen von Bildern erwähnt (De simulacro quod per campos portant. - 'Über Opfer, wobei sie etwas über die Felder tragen').

Der Begriff für einen kultischen Umgang war ahd. bigang bzw. bigangan (ags. begang, begangan). Archäologisch ist diese Form der Kultpraxis nicht nachweisbar - oder doch? Bei dem Anfang 2012 in Südnorwegen gefundenen Kultplatz (Ranheim) gehen die Archäologen davon aus, auch den Teil eines Prozessionsweges freigelegt zu haben.

Prozessionen, Umzüge sind heute noch Teil vielerlei Brauchtum - von den Prozessionen der katholischen Kirche (z.B. an Fronleichnam) bis zu Schützenumzügen und anderen Festumzügen. Zu spekulieren wäre über den möglichen Zusammenhang von Karneval und Umzügen mit schiffsförmigen Wagen. Ebenso mag man ein so berühmtes archäologisches Fundstück wie den "Sonnenwagen von Trundholm" als Beispiel anführen und fragen, ob er - oder ähnliche Wagen - Teil kultischer Umzüge waren. Wenn wir heute noch Feste "begehen", dann, so meint Golther, sei damit verbunden, daß das Fest einen feierlichen Umzug beinhaltete. Neben dem Hertha-Umzug weist Golther noch auf die schwedische Freyr-Feier hin, bei der der Gott "auf dem Wagen fahrend und von einer Priesterin geleitet, zur Winterszeit die schwedischen Gaue". (aaO.)

Der Sinn von Kultumzügen scheint mir in zwei Aspekten zu liegen. Zum einen ist da eine Verbindung mit dem Land, mit der Heimat: man geht in einem religiösen Umzug "sein Land" ab, was vielleicht früher wirklich einmal an konkreten Grenzen zum Nachbar festgemacht wurde. In dieser Form wird Religion in den öffentlichen Raum getragen und führt zu einer (Selbst-) Bestätigung der Ritualteilnehmer. Zum anderen ist der Umzug eine ganz andere Ritualform als das übliche Blot, das - zumindest heutige Heiden - in einem Ritualkreis stehend verbringen. In diesem Zusammenhang finden sich auch einige Gedanken beim Nerthusumzug wieder.

Der Kultumzug - auch Flurumgang genannt - ist meinem Verständnis nach kein eigenes Ritual, sondern in gewisser Weise Teil eines Rituals oder zusätzliche Aktivität. Der Umzug kann z.B. vor dem eigentlichen Ritual stattfinden, indem man sich an Punkt A trifft, dann zu Punkt B zieht, wo das Ritual stattfinden soll.
Weiterhin kann der Umzug z.B. beim Punkt Laden des Blots hinzugefügt werden, indem man die Götteranrufungen an bestimmten Stellen des Umzuges einfügt. Im Grunde mag sich das jedoch mit dem Anfang des Rituals nicht vertragen, in dem eine Platzweihe für den Ritualplatz durchgeführt wird. Letztlich könnte der Umzug sich an ein Ritual anschließen. Hierbei könnte man z.B. Opfergaben, die nicht dem Feuer übergeben wurden, während des Umzuges an verschiedenen Stellen deponieren / opfern. So gesehen scheint mir die beste Variante, den Umzug entweder vor oder nach dem Ritual hinzuzufügen, nicht aber als Teil während des Rituals.

Der Umzug kann still (Stichwort Gehmeditation) durchgeführt werden, damit erhält er einen sehr besinnlichen Zug. Das kann z.B. ein Ritual sehr gut vorbereiten, wenn man sich versammelt und dann still zum Ritualplatz zieht. Andererseits kann man den Umzug mit Gesängen ausschmücken - hier bieten sich z.B. Kanons an (s. Seitenende). Auch wäre es denkbar, daß eine oder mehrere Personen auf Trommel einen Rhythmus schlagen.

Die meisten Leute kennen wohl den Kanon "Hejo! Spannt den Wagen an ..." Hierzu möchte ich heidnische Strophen vorstellen, die man während eines Umzuges singen kann. Dazu kann man die Teilnehmer in drei Blöcke aufteilen. Das Hertha-Beispiel stammt von mir, die beiden anderen von Hamburger Heiden.

Hertha, Erdenmutter, komm!
Sonnwendfeuer brennen überall!
Hör, wir singen wieder, hör, wir singen wieder!
Wodan, Wilder Reiter, komm!
Heil’ge Feuer brennen überall!
Sieh, wir opfern wieder, sieh, wir opfern wieder!

Frija, Sippenmutter, komm!
Heil’ge Feuer brennen überall!
Sieh, wir opfern wieder, sieh, wir opfern wieder!

 

Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!