Schamanismus und Seiðr
(Kern-) Schamanismus
Ich hatte auf diesen Seiten ursprünglich nur ein kurzes Dokument, das auf die Hinweise in den nordischen Quellen einging, wonach es Anzeichen für schamanische Praktiken bei den Germanen gibt. Im Rahmen einer intensiveren Beschäftigung mit dem Schamanismus im Jahr 2009 habe ich diese Seite erstellt. Aktuell führe ich nun beide Seiten zu einem Text zusammen.
Schamanismus, "Neo"-Schamanismus ... Wie erklärt man jemandem, der entweder nicht weiß, was Schamanismus ist, oder diesem sehr reserviert gegenübersteht, was Schamanismus denn nun wirklich ist? Die enttäuschende Antwort muß lauten: man kann es nicht mit Worten erklären, weil man die spezifische Erlebnisweise beim praktizierten Schamanismus nicht erklären kann, auch wenn die Grundtechniken in etlichen Büchern beschrieben werden. Diese Art des Erlebens ist die sogenannte "schamanische Reise", womit der willkürliche Übertritt vom Alltagsbewußtsein in das schamanische Bewußtsein, in die nicht-alltägliche Wirklichkeit (NAW, wie schreibt), gemeint ist. Dieser Übertritt wird häufig durch Hilfsmittel wie monotones Trommeln, Rasseln oder Singen erleichtert ("sonic driving"). Der dadurch erreichte Bewußtseinszustand wird im Deutschen als Trance oder Ekstase bezeichnet; v.a. der letztere Begriff wurde durch das Werk von in Deutschland populär. Ich benutze lieber den Begriff 'Trance'. Wenn der Schamane also in dieser NAW, im Trancezustand angekommen ist, erlebt er 'Welten', die von unterschiedlichen 'Wesen' bevölkert sind - er sieht diese Dinge vor seinem inneren Auge, aber es ist keine Imagination, d.h. aktive selbst-induzierte Vorstellung der Inhalte, sondern unwillkürliche Wahrnehmung von nicht selbst erdachten Abläufen. Modern ausgedrückt, ist das wie eine Art "interaktiver Film". Tiere, Phantasiewesen, Menschen - reale, lebende, tote oder auch irgendwie humanoide Wesenheiten, alle können vom reisenden Schamanen erfahren und kontaktiert werden, da sie als Energieformen oder "spirits" verstanden werden. Es ist so auch nicht ungewöhnlich, daß man tote, bekannte Personen treffen kann. Gemäß des "außerzeitlichen" Charakters der "Anderswelt" (anderer Ausdruck für die NAW) sind Tote dort nicht wirklich tot. Anfänger im schamanischen Reisen werden v.a. versuchen, Krafttiere zu kontaktieren, also Tiere, die den Reisenden führen können oder ihm hilfreich zur Seite stehen. Während man z.B. musikbegeisterten Menschen recht gut erklären kann, was Trance ist, weil sie es vielleicht selbst vom Tanzen her kennen, ist es am schwierigsten, diese Kontakte zur "spirit world" (klingt im Deutschen als 'Geisterwelt' zu sehr nach Spukgeschichte) zu beschreiben. Es ist nämlich nicht ausreichend, auf die unbewußten Aspekte der menschlichen Psyche zu verweisen à la "das denkt sich unser Gehirn alles aus". Es klingt für die Ohren vieler Menschen unglaublich: die Erfahrungen der schamanisch Praktizierenden zeigen, daß diese Wesenheiten in welcher Art auch immer eine Form von eigenständiger Existenz haben, daß sie Energieformen sind - mehr sind als Schemen des kollektiven Unbewußten. So kann beispielsweise Person A eine Reise zu ihrem Krafttier machen, während Person B, die sich nahe A aufhält, ebenfalls reist und das gleiche Tier sehen kann, wenn sie sich darauf konzentriert. Wer nun glaubt, das sei ein schönes Beispiel für Hokuspokus oder Esoterik-Geschwurbel, der möge mir glauben, daß ich dies genau so bereits erlebt habe.
Der Wikipedia-Artikel [de.wikipedia.org/wiki/Schamanismus]
beschreibt recht gut, um was es beim Schamanismus geht - denn er ist ein Phänomen mit multiplen Facetten. Der
Schamane ist z.B. nicht nur Heiler, ein Aspekt, der heute v.a. im Westen sehr betont wird, denn in manchen
Kulturen kann er auch für auf Feinde gerichtete Schadenzauber zuständig sein. Diese moderne, westliche
Heilerbetonung faßt so zusammen:
"Around the world and across many cultures, a person who deals with the spiritual aspect of
illness is a shaman. A shaman diagnoses and treats illnesses, divines information, communicates and
interacts with the spirit world, and occasionally acts as a psychopomp, that is, a person who helps
souls cross over to the other world." (Soul Retrieval)
Man kann also sagen, daß jemand, der nur für "eigene Zwecke" schamanische Techniken
anwendet, kein Schamane im eigentlichen Sinne ist, da ihm der Bezug auf den Anderen fehlt. Diese Person könnte man
vielleicht mit eher als Mystiker bezeichnen
(Wer Hexe ist, bestimme ich). Gerade auf die Anforderungen, die
Belastungen der Tätigkeit als Heiler geht ein:
"In der Eingeborenenwelt sind Schamanen häufig Angehörige derselben weitverzweigten Familie wie der Patient,
mit einer emotionalen Verpflichtung der Sorge für das persönliche Wohlbefinden des Patienten, nicht vergleichbar mit dem
Fünfzehn-Minuten-Arztbesuch in der heutigen Gesellschaft. Der Schamane arbeitet auch die ganze Nacht oder mehrere Nächte
an der Wiederherstellung des einzelnen Patienten, wobei er selbst und der Patient als eine Zwei-Einheit beteiligt sind,
die das Unbewußte beider in einer heroischen Partnerschaft gegen Krankheit und Tod verflicht."
Das schamanische Weltbild ist oft durch eine Dreiteilung gekennzeichnet: der Schamane und seine Mitmenschen leben in der
mittleren Welt (die nichtsdestotrotz auch "schamanisch bereist" werden kann),
darüber befindet sich eine nur dem Schamanen zugängliche, oft sehr hell erlebte Oberwelt (in der der Schamane
vor allem sogenannte spirituelle Helfer oder Lehrer treffen kann), darunter eine Unterwelt, die einen sehr
erdhaften, festen, plastischen Charakter hat und wo der Schamane z.B. sein(e) Krafttier(e) findet.
Schamanismus ist zwar nicht so "alt wie die Menschheit", aber es ist
eines der ältesten magisch-religiösen Systeme, das vermutlich bereits den Menschen der Jungsteinzeit bekannt war, wobei
moderne Autoren oft betonen, daß der Schamanismus eine Technik sei, die frei von religiösen Konnotationen sei.
Man müsse an nichts glauben, sondern könne ja die NAW selbst erfahren.
Seit Mitte der 90er Jahre hat der Schamanismus immer wieder meinen Weg gekreuzt, speziell in seiner Form als Core Shamanism. ( ). Der Kernschamanismus konzentriert sich auf die von jedem Menschen potentiell erlernbaren Grundtechniken - losgelöst von der normalerweise dazugehörenden schamanischen Kultur. Ich las von das oben schon verlinkte Grundlagenwerk, versuchte mich jedoch bislang nie an den viel zitierten wie kritisierten Büchern von . Das m.E. beste Werk in deutscher Sprache ist Der Schamane in uns von Paul Uccusic, einem -Schüler. Auch das Grundlagenwerk von (oben schon verlinkt) sollte man einmal gelesen haben.
Links und Bücher zum Schamanismus allgemein finden sich auf der Resourcenseite:
Religion / Heidentum.
Seidhr - im schamanischen Sinne
In der (nord-)germanischen Kultur gab es ein magisches Phänomen, das Seiðr genannt wurde.
Seidhr (= Magie als ganzes) bzw. - je nach Sichtweise - die als para-schamanisch angesehene Seidh-Magie im Rahmen dessen, was
im germanischen Kulturkreis als Magie angesehen wurde, knüpft laut Quellen an schamanische Techniken an, während jedoch
die germanische Gesellschaft keine schamanische war. J. Blain dazu:
"Norse culture was clearly not shamanic: this would have required the shaman to be a central figure within society, even while being
viewed ambiguously, whereas seiðrworkers appear in the sagas as marginalized figures, and spae-workers, though respected, are rare."
Hier könnte man z.B. die Frage stellen, ob die germanischen
Völker diese Techniken z.B. von den Sami übernommen haben oder ob sie einfach aus gemeinhin vorhandenen, subarktischen
schamanischen Traditionen schöpften.
Es gibt jedoch Dinge, die man in den Bereich des Schamanismus deuten kann. Steffen zählt im Zusammenhang mit Odin folgende auf:
- Initiation of hanging on the Yggdrasil to find the runes.
- His horse, Sleipnir, has 8 hooves as does the horses of Siberian, Murian, and Japanese shamans.
- Renowned ability as a shape changer.
- Necromancer, consulting the spirits of the dead.
- Two familiars, the crows or ravens named Huginn (thought) and Muninn (memory) which bring information from the four corners of the world.
- Use of Seidhr, a form of sorcery to foresee the future, normally the realm of women, taught to him by Freya.
Steffen führt weiter aus, daß die Trancearbeit ein wichtiges Kennzeichen von Schamanen sei. Gerade aber Erzählungen von Odin scheinen aus einer solchen Trance heraus zu stammen, s. z.B. die berühmten Zeilen von seinem Selbstopfer am Weltenbaum.
Liest man das Kapitel Ekstasetechniken bei den Germanen in Eliades Klassiker
Schamanismus und archaische Ekstasetechnik,
dann wird man viele der oben genannten
Punkte wiederfinden: das Opfer am Weltenbaum ("Renner (Pferd) des Ygg") - schon das
Besteigen eines Baumes kann als Symbol für eine schamanische Reise gedeutet werden -;
das achtbeinige Pferd, in Eliades Worten das "Schamanenpferd par excellence";
Odins Gestaltwechsel (z.B. Ynglingasaga), in welchem Zusammenhang Eliade
spekuliert: "Man könnte sogar fragen, ob die beiden Raben Odins, Hugin und Munin,
nicht, wenn auch in stark mythisierter Form, zwei 'Hilfsgeister' in Vogelgestalt
sind, welche der Große Zauberer auf schamanische Art zu den vier Enden der Welt
entsandte." (Wohingegen eine andere Interpretation in den Raben den Geist
des Schamanen sehen will, den er über weite Distanzen aussenden kann.)
Weiterhin ist die Kommunikation mit Toten zu nennen, z.B. das Erwecken der lange toten
Seherin, um von ihr Wissen zu erlangen. Eliade schildert in vorhergehenden Kapiteln, daß es
für Schamanen durchaus nicht unüblich sei sich auf oder in der Nähe von
Gräbern aufzuhalten. Eliade: "Die Toten kennen die Zukunft, sie können das
Verborgene enthüllen, usw. Der Traum spielt zuweilen eine ähnliche Rolle ..."
So ist denn auch die in Gylfaginning 48 beschriebene Reise Hermods zu Hel laut Eliade als
typisch schamanische zu bezeichnen.
Letzten Endes kommt Eliade dann auch auf Seidhr zu sprechen:
"Viele Züge nähern den seiðr der klassischen Schamanensitzung:
die rituelle Tracht, die Wichtigkeit von Chor und Musik, die Ekstase. Doch scheint
es uns nicht unbedingt notwendig, den seiðr als Schamanismus im strengen Sinn
zu betrachten; der 'mystische Flug' ist ein 'Leitmotiv' der allgemeinen Magie und
speziell der europäischen Hexenkunst. Die spezifisch schamanischen Themen - Abstieg
in die Unterwelt zur Rückführung der Seele des Kranken oder zum Geleit des
Abgeschiedenen - sind, wie wir gesehen haben, in den Überlieferungen nordischer
Magie bezeugt, ohne aber in der seiðr-Sitzung ein Hauptelement
darzustellen. Diese scheint sich im Gegenteil auf die Wahrsagung zu konzentrieren,
untersteht also letzten Endes mehr der 'kleinen Magie'."
Links und Bücher zu Seidhr finden sich auf der Asatru-Resourcenseite.
Meine Erfahrungen
1996/97 experimentierte ich bereits mit einem "Drumming Tape" von
Nicht alle schamanisch Praktizierenden teilen die Ansicht, daß die Reise durch eine Art Tunnel hinabgehen müsse. Manche, wie
der 2010 verstorbene , glauben, daß Entspannungsübungen und Haltungen ausreichen, den
Übertritt in die NAW zu vollziehen: man wartet einfach darauf, daß man plötzlich dort ist.
Ein für mich seinerzeit sehr einflußreiches Buch war The Western Way von
. Im ersten Band wird die Andersweltreise v.a. vor
keltischem Hintergrund beschrieben.
Nachdem ich bereits 1987 das Autogene Training gelernt hatte, kombinierte ich dessen Techniken mit schamanischen, nutzte
also das AT als Entspannungs- und Einleitungstechnik für eine schamanische Reise. Hier kommt der Begriff
Utiseta ins Spiel, das ist eine weitere Form nordischer Magie, konkret handelt es sich beim "Draußensitzen" (uti-seta)
um eine Art Versenkungsübung, über die jedoch fast nichts überliefert ist. schreibt in seinem
Buch Northern Magic dazu: "Ice.(landic) útiseta is an act of seidh for making contact
with your own personal warden or fetch and for gaining ongoing interaction with it. (...) Útiseta is a kind of
shamanic vision quest working. This type of working can be untertaken for a variety of magical purposes."
Diese spirituelle Entwicklung, die auch eine siebenjährige Beschäftigung mit dem Buddhismus beinhaltete,
brach Ende der 1990er ab, da ich mich sehr auf recht rationales Ritualwesen einer polytheistischen Religion konzentrierte.
Aufgrund der Teilnahme am 1st International Asatru Summer Camp in
Dänemark, wo Seiðr-Workshops ( ) wie auch Seið-Singen ( ) angeboten wurden,
ist mein Interesse am Thema neu erwacht, so daß ich im Oktober 2009 ein Basisseminar im Core Shamanism bei einem Lehrer
der Foundation for Shamanic Studies, (Link) gemacht habe.
Es handelt sich dabei um einen Wochenendkurs, der eine grundlegende Einführung in schamanische Techniken bietet. Die Betonung liegt
auf dem "Heileraspekt" des Schamanen, d.h. man macht gleich nach der ersten (eigenen) Krafttierreise eine solche für
einen Partner ('Klienten'). Vermittelt werden: Unterweltreise zum eigenen Krafttier, 'Heraufholen' eines Krafttieres und einer
Botschaft für einen Klienten, Krafttiertanz, Mittelweltreise (Besonderheiten, Praxis), Steinorakel, Oberweltreise und Kontakt
zum 'Lehrer', Info Seelenrückholung und Praxis 'spirit canoe' in einem ausgewählten Fall.
Dieses Wochenende bei Olpe war für mich eine sehr intensive Erfahrung - auch weil die Gruppe gut zusammenpaßte.
Olaf erlebte ich als hervorragenden Wissensvermittler, der sich bei der Ausdeutung der Reiseerlebnisse dezent zurückhielt.
Es wurde nicht 'wild heruminterpretiert' - jeder Teilnehmer mußte für sich schauen, was das Geschaute bedeutet. Meine Absicht war es, vor der engeren Beschäftigung mit dem Schamanismus "meines Kulturkreises", also
dem Seiðr, eine solide Basis über das Vehikel 'Kernschamanismus' zu bekommen.
Im Anschluß (November 2009) nahm ich an einem halbtägigen Seminar "Schamanische Reise" in unserer örtlichen Volkshochschule teil, das von
durchgeführt wurde. Kein Core Shamanism per se, aber doch in den Grundlagen ähnlich, sticht dieses Seminar dadurch hervor, daß nur eine einzige (längere) Reise unternommen wird, die dafür sehr gründlich u.a. mit Räuchern und einer Entspannungsübung vorbereitet wird. Das hat mir vom Ablauf (und dem Ergebnis) her so gut gefallen, daß ich dieses Seminar 2010 wiederholen wollte - doch es fiel mangels Interesse aus. Das ist schon komisch: dieses über die Volkshochschule angebotene Seminar ist die einzige regionale Möglichkeit, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, aber es finden sich keine Interessenten dafür ...Schamanismus - hier allgemein als spirituelle Praxis - ist eine recht private Sache. Ich mag es nicht, über (persönliche) Krafttiere u.ä. zu sprechen bzw. tue dies nur im Setting entsprechender Seminare / Gruppen. Ich stehe im Widerspruch zwischen dem Erzählenwollen von besonderen Begebenheiten, z.B. einer weit über die Jahre hinaus wirkenden Vision am 9.1.1997, wie auch Erlebnissen in der NAW, sowie dem Schweigen darüber. Der Widerspruch bleibt zunächst ungelöst.
Für weitere Infos s. die Seiten zu Magie, Utiseta, Spa.
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!