Das Opfermoor bei Oberdorla
Im Sommer besuchte ich im Rahmen des Asatru-Sommerlagers zum ersten Mal Oberdorla. Ich hatte mir das Gebiet ganz anders vorgestellt, waldiger vielleicht. Aber man befindet sich dort in einer Ebene und letztlich fällt es einem doch leicht sich vorzustellen, daß dies ein zentraler Ort unserer Vorfahren war, an dem sie zum Kultus zusammenkamen. Diese Seite soll als einfaches Informationsangebot dienen, da sie sich v.a. auf die Ausstellungstexte bezieht und nur in geringem Umfang (mangels Besitz) auf wissenschaftliche Publikationen. Ergänzt wurde sie mit meinen Fotos, die ich vor Ort im Ernting 06 aufnahm.
Ober- und Niederdorla liegen als kleine Örtchen nahe Mühlhausen in Thüringen. Bekannt ist Niederdorla
wegen seiner Lage im "Mittelpunkt Deutschlands", womit das heutige Deutschland (einschließlich
der Ex-DDR) gemeint ist (immerhin pflanzte man 1991 dort eine "Kaiserlinde".)
(Google Earth: [oberdorla.kmz])
Zwischen diesen Orten (und zunächst Niederdorla, heute aber Oberdorla zugerechnet) wurde 1957
beim Torfstechen eine germanische Kult- und Opferstätte gefunden, besser gesagt: ein ganzes Fundareal, das ca.
90 einzelne Opferstätten enthielt. Laut Angabe des Museumsflyers handelt es sich
"um den besterhaltenen Fundkomplex dieser Art aus Latène- und römischen (sic!) Kaiserzeit in Mitteleuropa". Somit
lassen sich die ersten Funde auf ca. 600 v.d.Z. datieren, die jüngsten (noch heidnischen) liegen in der Mitte des ersten Jahrtausends u.Z.
Seit 1991 werden die verschiedenen Kultstätten in einem Freilichtmuseum, das absolut sehenswert ist,
im Originalmaßstab wieder
aufgebaut (Stichwort: Opfermoor Vogtei). Dazu hat man auch einige Gebäude einer germanischen Siedlung aus
dem 3. Jhd. u.Z. nachgebaut, die allerdings 400m abseits des früheren Moors (Ma(h)llindenfeld bei Niederdorla) gefunden wurde und
von ca. 100 v.d.Z. bis ins 13. Jhd. u.Z. bewohnt war.
Funde werden seit 1992 im Ausstellungspavillion präsentiert, der ca. 200m vom Parkplatz entfernt ist. Im Bereich des rekonstruierten
Opfermoors werden regelmäßig Römer- oder Germanenfeste abgehalten (Bilder s. [opfermoor.de])
Bereits vor 1957 fand man Tierknochen beim Torfstechen. Als man dann aber gehäuft solche fand, dazu Holzreste, Feuerspuren, informierte man das Museum für Ur- und Frühgeschichte in Weimar. Die Leitung der von 1954 bis 1979 durchgeführten Ausgrabungen hatte Prof. Behm-Blancke.
Bei den ältesten Funden handelt es sich um solche aus der ausgehenden Hallstattzeit (Hallstatt D) und man muß
wohl von einer proto-germanischen Kultur sprechen. Zu dieser Zeit befand sich noch kein Moorsee vor Ort, die Funde waren
zunächst am Rand eines "Erdfalls" errichtet:
rechteckiger Feueraltar aus Muschelkalkstein, umgeben von einem
Stein-Erde-Wall (Zubereitung und Darbringung von Speiseopfern)
neben Altar eine Steinstele (Symbol einer Gottheit, die u.a.
Ziegenopfer erhielt) in einem Rundheiligtum mit Wall
klotzförmige, kleine Holzidole in ovalen Opferstätten (mit Steinen oder Ruten abgegrenzt)
Es folgt dann die Latène-Zeit (500 v.d.Z. bis um das Jahr 0), in der der Moorsee
("Kultsee") entstand, an dessen Ufern in der Folge vielerlei kleine Heiligtümer gebaut wurden. Man
kann spekulieren, ob den Menschen damals das "plötzliche" Entstehen eines Sees als göttliches Zeichen
erschien. Der heutige See ist erst nach dem Torfstechen wieder entstanden
und deutlich größer als der einstige Kultsee. Zunächst findet man keltische Einflüsse:
Apsisförmige Opferstätten (am Ufer) mit zentralem Rasenaltar
(Plaggen umgeben von Flechtwerk) und mit Pfahl- oder Stangenidolen (Südrand des Geländes). Die
hallstatt- und latènezeitlichen Funde traten v.a. im Südbereich des Sees auf.
Die gefundenen Idole teilt Behm-Blancke, in: Krüger in vier
Typen: 1) Holzstock mit phallischer Hervorhebung u. evtl. ausgestaltetem Kopf, 2) Astgabelidole, die in Oberdorla
alle weiblich gestaltet sind, 3) Idole, die aus einem Brett herausgearbeitet sind, 4) Idole, die aus einem
Kantholz gestaltet und auch mit Standleiste ausgestattet wurden.
In diesem Bereich wurden auch Holzstangen gefunden, die als Kultstäbe interpretiert werden, die die Priester während
der Riten benutzten. Sogar kultische Holzkeulen und ein Holzhammer wurden gefunden.
Auffallend für diese Zeit ist neben den schon erwähnten Holzklotzidolen ein großes weibliches Idol mit bronzenem
Halsreif, das um 75 v.d.Z. durch ein weibliches Astgabelidol ersetzt wurde.
Auffallend sind die für alle Fundhorizonte belegten Absteckungen mit Stöcken bzw. Umhegung mit Flechtwerk. Das könnte
der Haselstangenabsteckung entsprechen, die in der Egilssaga erwähnt wird - und somit
wäre dies u.U. ein gemeingermanischer Brauch. Da in solchen Umhegungen auch hölzerne Idole gefunden wurden,
vergleicht Behm-Blancke, in: Krüger mit der als
stafgarðr genannten, nordgermanischen Kultstelle, so daß er zur Aussage kommt: "Demnach müssen
die Kultgehege mit Idol eine allgemeine Erscheinung gewesen sein."
Bezüglich dieser Idole oder Stangen im Opfergelände ist an drei Verwendungszwecke zu denken: 1) Opfer wurden auf die
Stange gesteckt, 2) sie wurden an die Stange gehängt oder 3) vor der Stange niedergelegt.
In der ausgehenden Latène-Zeit (Latène D) erschien der germanische Stamm der Hermunduren (Siedlungsgebiet
nach Wikipedia-Bild:
[de.wikipedia.org/wiki/Bild:Germanen_50_n._Chr.png])
vor Ort. Diese gehörten zu den Elbgermanen.
"Im Jahre 58 n. Chr. wird von einem hermundurischen Sieg über die
Chatten in der legendären Salzschlacht berichtet, in der es
wahrscheinlich um die Salzquellen an der Werra ging."
[de.wikipedia.org/wiki/Hermunduren].
Zu dieser Zeit hatte sich der Kultsee vor Ort etwas verkleinert, die nun entstehenden Heiligtümer befinden sich v.a.
in der Südwestecke des Fundareals.
Im Rahmen eines großen, den Hermunduren zugeschriebenen Rundheiligtums mit zentralem
Rasenaltar (2 Bauperioden) fanden sich neben Tierknochen auch Schädel(teile) von
Menschenopfern (Westseite) und an der Nordseite ein Schwertidol. Dieses noch aufrecht in der Erde steckende Schwert
stellt den einzigen Waffenfund des ganzen Areals dar und symbolisiert evtl. einen Kriegsgott.
Opfermoor.de ordnet diese (so gedeuteten) Menschenopfer dem
Krieg mit den Chatten zu. Einzelne Bereiche des Heiligtums waren die schon erwähnten, in sich geschlossenen, kleinen Gehege (mit
Astgabelidol und weiteren Kultpfählen).
Zu den Menschenopfern: Nach Behm-Blancke, in: Krüger fanden sich Schädel sowie
Arm- und Beinknochen mit Ritzmarken. Letztere besagen nur, daß Fleisch von den Knochen abgetrennt wurde, nicht aber,
daß es sich zwangsläufig um Kannibalismus gehandelt haben muß. In der Auswahl von Schädel und Extremitäten als
Opfer glichen diese menschlichen manchen tierischen. Eine gefundene Kniescheibe soll beweisen, daß nicht nur
Knochen als Opfergabe niedergelegt wurden, sondern ganze, aber abgetrennte Körperteile. Jedoch fanden sich in
Oberdorla auch aufgeschlagene Menschenschädel, die am ehesten noch mit dem "K-Wort" in Verbindung gebracht werden
könnten. Die Einschränkung der niedergelegten Gaben z.B. auf die Extremitäten läßt auch darauf schließen, daß das
Opfermahl (für das die restlichen Teile des Tieres verwendet wurden) nicht vor Ort stattfand. Anhand von Knochen lassen sich
tierische und menschliche Opfer gut nachweisen, bei pflanzlichen ist das - trotz der Bedeutung des Getreideanbaus - deutlich
schwerer. Das in Oberdorla gefundene Flachsbündel wird als Opfer gedeutet.
Auf die ersten drei Jahrhunderte u.Z. (in der Anlage als mittlere und späte römische Kaiserzeit bezeichnet)
werden verschiedene Idole datiert (insgesamt wurden um die 60 Idole gefunden), die auch in Rundheiligtümern standen.
So fand man ein Brettidol, ebenso ein Votivschiffchen. Der See hatte sich noch etwas verkleinert und begann zu
vertorfen.
Auffällig ist auch ein Kantholzidol mit gallo-römischen
Einflüssen (in einem separaten Heiligtum, das Züge römischer Umgangstempel trägt),
das eine Göttin darstellen soll (ähnliche Objekte wurden auch in Gallien gefunden), der Hirsch, Eber und
Wildvögel geopfert wurden. Diese deshalb als "Diana" bezeichnete
Gottheit soll in älteren Heiligtümern eine Vorläuferin gehabt haben, ein Holzidol mit einem Bumerang als Jagdwaffe.
Im "Diana"-Heiligtum fand sich der Sarg eines jungen Mädchens; das gesamte Heiligtum wurde im 4.
Jahrhundert zerstört. (Seit ca. 30 v.d.Z. gab es mehrere Zerstörungen im Fundareal.)
In den Begleittexten der Anlage wird das Mädchen als "Priesterin" bezeichnet.
Aus diesem Zeitabschnitt (speziell späte röm. Kaiserzeit) finden sich auch Werkzeuge als Opfergaben, beispielsweise
ein sogenanntes "Zimmermannsopfer": Schlagholz,
Ankerschloß und Meßelle; des weiteren auch Glättknochen zum Zurichten von Feinleder. Diese Opfer passen z.B. zu
ähnlichen vom dänischen Opferplatz Vimose, wo man auch einen Amboß fand.
Höhepunkte (auch des heutigen Freigeländes) sind auf das 5. Jhd. datierte Schiffsheiligtümer
in einer großen Anlage. Im großen Schiff (mit eingegrabenem Ruderblatt) fand sich ein großes Pfahlidol mit
Pferdekopf, das als Symbol eines männlichen Gottes gedeutet wird. Das kleine Schiff, das Richtung Sonnenaufgang weist und
in dem ein Rinderopfer gefunden wurde, wird als Symbol der Göttin gedeutet.
Ebenfalls wird lt. Begleittext der Ausstellung vermutet, daß diese Kultschiffe mit "dem Erscheinen der
Angelsachsen in Thüringen" zusammenhängen könnten.
Ab ca. 550 u.Z. befand sich im fast ganz vertorften See ein rechteckig umzäuntes Gebiet, in dem Opfer versenkt wurden.
Aus der späten Völkerwanderungszeit (Ende 6. Jhd.) findet sich noch ein Rundheiligtum, dessen Einzäunung durch einen
Brand zerstört worden war. Im Innern fehlten Idole, dafür fand man Opferreste.
Ganz interessant ist, daß die christianisierte Bevölkerung offenbar noch im 10. und 11. Jhd. im Bereich des Opfermoors Gaben niederlegte! Man fand Gefäße aus dieser Zeit sowie Hundeknochen. Als im 12. Jhd. in Oberdorla ein Archidiakonat errichtet wurde, hörten diese Handlungen offenbar auf. (Nun ja, nicht ganz. Wir haben uns im Rahmen unseres Besuchs auch erdreistet, am hermundurischen Rundheiligtum ein wenig zu sumbeln.)
Das Fundmaterial von Oberdorla wird von Tierknochen dominiert - man ordnete die Funde über 330 Individuen zu. Hierbei stehen an erster Stelle Rindern, danach Hunde, Schafe, Ziegen, Pferde, Schweine, aber auch Wildtiere. Weiterhin fand man Knochen von mindestens 40 Menschen; dazu Keramikreste, Holzgegenstände.
Wissenswertes
Anfang August 2009 wurde das Freigelände erneut Opfer eines Brandanschlages: u.a. brannte das Grubenhaus nieder, der Schaden wurde auf ca. 30000€ beziffert. Spontan entschloß sich der Verein für Germanisches Heidentum e.V. zu einer Spendenaktion. Bis zum 20.8.2009 konnten immerhin 400€ gesammelt werden - und das nur (doch leider) aus den eigenen Reihen, obwohl die Aktion vereinsunabhängig gedacht war. Dieses Geld wurde dem Opfermoor für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt.
Im nahegelegenen Nationalpark Hainich gibt es einen "germanischen Kultpfad", auf dem man Nachbauten germanischer Opferstätten bzw. Idole besichtigen kann. "Thüringen am Abend" meldete seinerzeit: "Im Nationalpark Hainich ist heute der Germanischer Kultpfad eröffnet worden. Dabei handelt es sich um einen Erlebnis-Wanderweg am Hünenteich. Entlang der Strecke stehen acht vorchristliche Heiligtümer mit Informationstafeln. Ausgangspunkte für den 1,5 Kilometer langen Pfad sind die Parkplätze Zollgarten und Rüspelsweg. Das Opfermoormuseum in Niederdorla hat die Errichtung des Pfades unterstützt."
Weitere Bilder
Quellen:
Museumsflyer Opfermoor Vogtei,
Broschüre Opfermoor Vogtei - Lust auf Geschichte,
Infotafeln im dortigen Freigelände,
Netzseiten Opfermoor.de,
Wikipedia - Kontinentalgermanische Mythologie,
Graichen - Kultplatzbuch,
Müller-Wille - Opferkulte,
Behm-Blancke, in: Krüger
weiterführend:
F. Schlette. Auf den Spuren unserer Vorfahren; Verlag Neues Leben, 1982
G. Behm-Blanke. Kultplätze und Religion; Archäologie der DDR, Band 1, Urania Verlag, 1989
Günther Behm-Blancke: Heiligtümer der Germanen und ihrer Vorgänger in Thüringen - die Kultstätte Oberdorla. 2002
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!