Tamfana
"Im Herbst des Jahres 14 nach Christi Geburt begannen die seit fünf Jahren sorgfältig
vorbereiteten Rachezüge der Römer unter Germanicus mit einem von den Germanen zwar
sicherlich vorgesehenen, aber in so später Jahreszeit für das Jahr nicht mehr erwarteten Einfall
in das Gebiet der Marser. Es waren die Tage der großen germanischen Ernte- und
Herbstfeierlichkeiten, in denen sich die Bevölkerung, wie uns Tacitus (Annalen I 51)
berichtet, friedlicher Ruhe hingegeben oder zu 'Schmausereien und Kurzweil' sich
versammelt hatte."
W. Teudt
Der Feldzug des Germanicus
Über Tamfana / Tanfana wissen wir so gut wie nichts. Erwähnt wird diese
vermutliche Göttin nur bei Tacitus in dessen Annalen.
Der dort genannte Feldzug des Germanicus fand im Jahr 14 u.Z. gegen
die Marser ('die Zornigen' nach Reichert)
statt. Tacitus erklärt den "Grund" für die "Strafexpedition":
"Zu jener Zeit war nur noch der Krieg gegen die Germanen zu führen, mehr aus dem Grunde, um die Schande zu tilgen, die der Verlust des Heeres unter Quintilius Varus gebracht hatte, als aus dem Verlangen nach einer Vorschiebung der Reichsgrenze oder in der Aussicht auf würdigen Lohn."
Legionen aus Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) und Castra Vetera (Xanten) überquerten auf
der wiedererrichteten Brücke bei Castra V. den Rhein. Einer Angabe nach waren
es mit Auxilien 30000 Mann, nach Teudt
nur 17000 (12000 Legionäre, 26 Kohorten Bundestruppen und 8 Reitergeschwader).
Die Römer schlichen über eine von Tiberius erstellte Schneisenstraße zwischen
Ruhr und Lippe und griffen die Marser an, von denen Germanicus über Kundschafter
erfahren haben mußte, daß sie gerade ein großes Fest feierten. Die
überraschten Germanen wurden abgeschlachtet.
Die alarmierten istväonischen Nachbarstämme (Brukterer, Tubanten, Usipeter)
zogen zwar gegen die Römer, griffen aber nur die Nachhut an, was
nicht zu großen Verlusten unter diesen führte.
"Eine Strecke von 50 Meilen (75 km) ließ er durch Feuer und Schwert vollständig
verwüsten. Kein Geschlecht, kein Alter fand Erbarmen; profane und heilige Stätten und auch
das bei jenen Völkern für hochheilig geltende Heiligtum, welches man das der Tanfana
nannte, wurde dem Erdboden gleich gemacht. Die Römer waren unversehrt, da sie nur
Schlaftrunkene, Waffenlose oder Versprengte niedergemacht hatten."
Tacitus
Das Fest der Tamfana
Simek weist darauf hin, daß
nach Tacitus' Datierung der 28. Scheiding oder 27. Gilbhard in Frage kommen,
so daß es sich um ein Herbstfest gehandelt haben muß.
Da die Römer in einer "sehr hellen Nacht" angriffen, kann man davon ausgehen,
daß es u.U. Vollmond war - das wäre der 27.9.14 gewesen. Das würde bedeuten, das Tamfana-Fest wäre an den Tagen um
Vollmond herum gefeiert worden (Reichert).
An diesem Vollmond war jedoch eine Mondfinsternis auch im Rheinland zu sehen, die Tacitus nicht
erwähnt. geht daher auch anhand weiterer Überlegungen davon aus, daß der Überfall
einige Tage vom dem 27.9.14 passiert sei. Interessanterweise fiel die Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche 14
auf den 24./25. Scheiding - war zu s Spekulationen hervorragend paßt.
Das rückt die Gestalt der Tamfana in den Bereich des "Erntedanks", der
Beziehung zur gebenden, lebenspendenden Erde, im Gegensatz zum Nerthus-Kult, der
im Frühjahr stattfand. Für Paul Herrmann
kommt Tamfana als Gemahlin des Himmelsgottes Tiwaz Istvaz in Frage.
Simek zieht die Parallele zum skandinavischen Disenopfer im Herbst und sieht
das Tamfana-Fest in der Nähe des Matronenkultes.
Wie wir uns das Tamfana-Heiligtum vorstellen müssen, ist ungewiß. Es läßt sich
nur vermuten, daß es sich um einen heiligen Hain
handelte, in dem vielleicht das Idol der Göttin stand.
Heß vergleicht Tamfana in seinem Runenbuch
mit Idun bzw. Nanna.
Ortssuche
Eine istväonisch-marsische Göttin nennt Jung Tamfana. Das ist auf den Abstammungsmythus der Germanen zurückzuführen, den Tacitus in seiner Germania beschreibt, wonach der "erdentsprossene" Gott Tuisto einen Sohn Mannus habe, der wiederum drei Söhne habe, nach deren Namen sich die Stämme in Ingväonen, Istväonen und Herminonen / Irmionen untergliedern lassen. Mauersperger weist in seinen Anmerkungen zur Germania darauf hin, daß der Kultverband der Istväonen zwischen Rhein und Weser siedelte, wobei Tacitus auch eine konkurrierende Einteilung von mehreren Einzelstämmen nennt, so eben auch die Marser, die zwischen oberer Lippe und oberer Ruhr gesiedelt haben sollen. Heutige Städte in dieser Region (von West nach Ost) sind beispielsweise (Duisburg, Dortmund,) Soest, Lippstadt, Paderborn.
Auf einer Karte der Homepage über die Varusschlacht
sind die Marser im Gebiet zwischen Soest und Paderborn eingezeichnet. Somit
müßte sich das Tamfana-Heiligtum im Dreieck Soest - Beckum - Paderborn
befunden haben (vielleicht in der Nähe des Lippe-Ufers?).
Nordwestlich von ihnen siedelten die Brukterer (Haltern - Münster), östlich von
den Marsern die Cherusker (Raum Detmold) und südöstlich die Chatten.
Die Marser gelten als Unterstamm der Sugambrer, die südlich im Sauerland bis zum Westerwald
siedelten. Schwarz vermutet, die
Sugambrer seien Hauptvolk einer Kultgemeinschaft gewesen, deren "Mittelpunkt das Heiligtum
der Göttin Tanfana bildete".
Graichen erwähnt
(ohne Quellenangabe) die Vermutung, daß das Heiligtum der Tamfana
an den Bruchhauser Steinen bei Brilon gelegen haben soll. Archäologische Untersuchungen haben diese
Steine als Versammlungsplatz im zeitlichen Rahmen vom 6. bis 2. Jahrhundert v.d.Z. datiert. Mir
scheint dieser Ort jedoch zu weit südlich zu liegen.
Über die Marschroute gibt es verschiedene Ansichten. Meist wird angenommen,
daß die Römer lippeaufwärts in das Marser-Gebiet zwischen Lippe und
oberer Ruhr eindrangen (B. Krüger, auch
Maier).
Eine südliche Route vertritt Teudt.
Demnach zogen die Römer von Xanten
aus durch den Bereich Mühlheim, Essen, Steele bis in den Bereich von Werl. Von dort aus
ging es weiter bis zu den Lippequellen im Großraum Paderborn.
"Aber Germanicus brach in das Marserland nicht durch deren Westmark
bei Kamen ein, sondern wählte den 'beschwerlicheren, noch nicht versuchten, und darum
von den Feinden unbesetzten' Weg durch die Berge südlich der Lippe ...
Nehmen wir das Wahrscheinliche an, daß Germanicus südlich Werl aus den
Bergen herausgetreten ist, weil hier das Ruhrknie einer Fortsetzung des Gebirgsmarsches
entgegenstand. Hier hatte er noch gerade 75 km des Marsergebietes bis zu den Lippequellen
zur Verwüstung vor sich. Er gelangte auf diese Weise bis zur Mark Oesterholz. Dann sind
die Kultburg nebst Gudenslau usw. als die 'bei jenen Völkern (man beachte die Mehrzahl)
berühmtesten Tempel der Tanfana' anzusehen."
W. Teudt
Watterich vertritt eine nördliche Route. Er schreibt, daß die Römer von Xanten, ostwärts bis kurz vor Coesfeld zogen. Bis dorthin sei das Land unbewohnt gewesen und eventuell durch einen Grenzwall gesichert. Germanicus sei dann von Haltern an der Lippe nordwärts gezogen und und nordwestlich auf die Mündung der Yssel zu. Dort wurde dann ein Lager aufgeschlagen, am nächsten Tag zog man weiter. Watterich schreibt zu den Wegalternativen:
"Wenn wir bedenken, dass von südöstlicher Richtung, in der man auf die Bructerer gestoßen wäre, nicht die Rede sein kann, so steht fest, dass die zwei Wege in nordöstlicher und östlicher Richtung gelaufen sein müssen. Es handelt sich also um das linke Emsufer, um das Land zwischen der Ems einerseits und den bergigen Waldgegenden in der Linie Appelhülsen - Billerbeck - Horstmar - Ochtrup - Bentheim andererseits. Das ist - es liegt unausweichlich zu Tage - das Marserland."
Die Kampfhandlungen sollen sich dann die Ems abwärts und die Vechte aufwärts gezogen haben. Als südlichen Beginn des Marserlandes sieht Watterich Münster an, in dessen Umkreis er das Tamfana-Heiligtum vermutet. Zum Kultverband zählt er: Marsi, Bructeri, Tencteri, Chasuarii, Tubantes, Usipii, Ampsivarii, nicht aber die Sigambrer / Sugambrer, die in seiner Sichtweise eher an der Ruhr gesiedelt haben sollen.
Der Name
Bemmann meint, daß Tamfana nicht der Name einer Göttin war, sondern der Name des Heiligtums als solchem. Das sei eine falsche Übersetzung der Stelle in Tacitus' Annalen: "celeberrimum illis gentibus templum, quod Tamfanae / Tanfanae vocabant". Dies findet sich auch bei Teudt. Er führt aus, daß der Genitiv tanfanae eventuell ein Abschreibfehler aus späterer Zeit sei. Man müsse das 'e' weglassen und erhält somit den Nominativ Pluralis tanfana. 'Fana' (sing. fanum) bedeute "Heiligtümer", 'tam' bedeute in Zusammensetzungen eine Erweiterung, so daß 'tamfana' die Gesamtheiligtümer oder Allheiligtümer bezeichnet.
"Im Ohr des Tacitus war noch das profana seiner letzten Zeile nicht verklungen.
Ihm mußte eine germanische Göttin namens 'Tamfana' ebenso schnurrig und verdächtig
klingen, wie wenn uns etwa von einer Göttin namens 'Hochkirchen' berichtet würde ...
Nach meinem Sprachgefühl ist es Tacitus nicht entfernt eingefallen, seinen Lesern eine germanische
Göttin namens 'Tanfana' oder 'Tamfana' vozustellen."
W. Teudt
Golther schreibt jedoch (was im übrigen die meisten Autoren vertreten), daß Tamfana die "marsische Hauptgöttin" (oder eine marsische Göttin) gewesen sei. Er weist in seinem Handbuch der Germanischen Mythologie auf Deutungen von und hin, die Tamfana als tabana lesen. Die indogermanische Wurzel läge in tepere, altindisch tapas, Hitze, also eine Göttin des Herdes oder des Feuers. Nach Herrmann gehört tabana zu ahd. zebar, ags. tiber, tifer, zur idg. Wurzel dap = teilen, verteilen; der Autor schließt also auf eine "Opfergöttin". Müllenhoff zieht auch altnordisch tafn "Opfertier" mit gleicher idg. Wurzel dap heran. favorisiert die Interpretation von , der vom isländischen þamb (Schwellung, Fülle), þamba (in vollen Zügen trinken), norwegischen temba (füllen, stopfen, große Mahlzeit) ausgeht. Bei Herrmann ist Thambana somit dann auch die Göttin der Fülle und des Reichtums (nach eingebrachter Ernte). Als Göttin des Erntesegens und der Fülle paßt dies zum Herbstfest von Tamfana.
Umfangreich befaßt sich Reichert mit
dem Namen Tamfana und dem der Marser. Zunächst führt er aus, daß
u.a. templum tafanae
falsch als "Tanfanae" aufgelöst hätten. Es müsse, wie er zeigt, Tamfanae heißen.
Der so hergestellte Name der Göttin, Tamfana, ende auf -ana, was in Götternamen "Herrin über ..."
bedeute. Tamf- leitet er auf die idg. Wurzel *temp- "Spanne" zurück, wie z.B. in lat. tempus - Zeit(spanne).
Zwar würden nach Reichert auch andere Ableitungen (þamb) zu "Fülle, Schwellung, Gespanntheit" führen,
aber diese würden nicht 100% grammatikalisch passen.
Somit kommt zum Schluß, daß Tamfana die
"Herrin über das Abgemessene" bedeutet.
Nimmt man nun den vermuteten Festzeitpunkt des Herbst-Äquinoktiums hinzu, dann war Tamfana wohl
die "Herrin des Zeitmaßes", nicht jedoch die "Herrin des
Maßes des Erntesegens".
Maier zweifelt auch an, ob es ein Tempel im Sinne von Bauwerk gegeben hat: "Ob es sich überhaupt um einen Tempel im Sinn der klassischen Antike gehandelt hat, ist ohnehin zu bezweifeln, da Tacitus bei seiner Schilderung des Nerthuskults (Germania 40,2-4) das Wort templum als Entsprechung von nemus «heiliger Hain» verwendet."
Jörg Kastner schreibt im zweiten Buch seiner "Germanensaga", Der Adler des Germanicus, über das Tamfana-Fest. Das entsprechende Kapitel beginnt mit den folgenden Sätzen:
"In den Nächten der Tamfana wurde der Wechsel des Jahres
gefeiert, der Übergang vom Sommer zum Winter, die Einbringung der Ernte und
die Aufnahme der Geister der Verstorbenen ins Reich der Toten. Zu diesem
bedeutendsten Fest der Marser waren sämtliche Sippen in das Gebiet um den
großen Tempel geströmt, so zahlreich, daß sich die Feierlichkeiten
über viele Meilen hinzogen, verteilt auf Siedlungen und große Gehöfte
rund um Mallovends Burg, die sich ganz in der Nähe des Tempels auf einem
Bergrücken erhob."
[Kastner, 'Der Adler des Germanicus']
Weitere benutzte Literatur:
Döbler;
Ström / Biezais;
Tacitus
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!